Aus Bewegungen und Parteien

12.06.2011: Für die Zeit vom 2.-5. Juni hatte die rechtspopulistische “Bürgerbewegung Pax Europa” (BPE) und der eng mit ihr verflochtene Internet-Blog “ Politically Incorrect“ (Pi) zu einem „Islamkritischen Wochenende“ nach Stuttgart geladen. Dagegen gab es eine breite Protestbewegung. Bereits am Donnerstagmittag beteiligten sich ca. 300 Menschen an der Auftaktdemonstration gegen das Rassistenwochenende. Die Demonstration durch die Stadt endete noch vor Beginn der rechtspopulistischen Kundgebung auf dem Rathausplatz, wo die VVN-BdA eine Kundgebung angemeldet hatte. Viele Demonstranten versuchten aber sofort, zum Schlossplatz zu gelangen, dem Kundgebungsort der BPE. Es gelang, in kleinen Gruppen durch die Polizeireihen durchzusickern. Einige Jugendliche besetzten spontan mit einem Transparent die Bühne, worauf die Polizei mit einem massiven Polizeieinsatz antwortete. Die Bühne wurde mit einer Polizeikette abriegelte, die Jugendlichen teilweise unter Einsatz von Pfefferspray von der Bühne gezerrt.

Wieder ein schwarzer Donnerstag in Stuttgart

Auch ein Vermittlungsversuch von Michael Schlecht (MdB; die Linke) konnte hier nichts ändern. Die Polizei stellte ihm ein Ultimatum von nur 2 Minuten, wobei er den Eindruck hatte, dass man seine Vermittlung nicht wollte, denn “das gewaltsame Abräumen war programmiert“, wie es Michael Schlecht in einer Pressemitteilung ausdrückte. So setzte die Polizei die Räumung der Bühne fort, auch gegenüber den Demonstranten vor der Bühne setzte die Polizei Pfefferspray und Schlagstock ein. Es kam zu ersten blutenden Verletzungen bei den Demonstranten. Nach der Räumung der Bühne wurde versucht, eine antirassistische Kundgebung abzuhalten. Diese endete jedoch damit, dass die Polizei die Räumung des Schlossplatzes ankündigte.

stuttgart_bpe_aktion_020611_verletzter_demonstrantDie Demonstranten ließen sich davon aber nicht beeindrucken und hielten ihre Stellung, während die Kundgebung der BPE unter Polizeischutz begann. Mit Sprechchören wurde versucht, die rassistische Propaganda zu unterbinden. Vereinzelt flogen auch Eier auf die Bühne. Die Polizei, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits „kampfbereit“ gemacht hatte, versuchte nun die Demonstranten zurückzudrängen. Hierbei wurden auch Schlagstöcke gegen bereits durch Pfefferspray getroffene Demonstranten eingesetzt. Mehr als die Hälfte der Verletzten wiesen teils stark blutende Kopfwunden auf, was an den gezielt brutalen Stuttgarter Polizeieinsatz vom „schwarzen Freitag“ im Stuttgarter Schlossgarten erinnerte. Diesen Eindruck hatte auch Michael Schlecht, der sich darüber wunderte, dass die Polizei die Räumung, obwohl sie in etwa so viele Polizisten wie Demonstranten einsetzte, nicht ohne Schlagstock und Pfefferspray-Einsatz erreichen konnte (oder wollte). Dem Einsatzleiter wurde von Michael Schlecht und vielen der Anwesenden fehlende Verhältnismäßigkeit vorgeworfen.

Die Kundgebung der „Bürgerbewegung“ ging nach diesem brutalen Polizeiübergriff, noch ca. 15 Minuten weiter, ehe sie dann aufgrund der anhaltenden Eierwürfe beendet werden musste.

Auch am Wochenende wieder aktiv gegen Rassismus

Aus Protest gegen diese teils offene rassistische Agitation unter dem Deckmantel der Islamkritik hatte sich bereits im Vorfeld ein Bündnis aus mehreren antifaschistischen Initiativen und linken Jugendgruppen gebildet. Dieses versuchte mit der Demonstration am Donnerstag, sowie einer Kundgebung vor einem Seminarort am Samstag Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Dies erkannte man als Notwendigkeit aufgrund der starken Verbindung zwischen den „Islamkritischen“ Kreisen und dem Rechtspopulismus, sowie Extremismus. Diese Verbindung wird auch durch eine schriftliche Anfrage aus Bayern bestätigt, bei der Pax Europa „ansatzweise Argumentationsmuster aus dem rechtsextremen Bereich“ zugesprochen wurden. Auf der Website der pi-news werden diese Tendenzen dann noch deutlicher, so bezeichnet deren Gründer, Stefan Herre, den Islam als Gewaltideologie und in seinem Blog werden Morde an Muslimen, wie z.B. an der Schwangeren Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht mit Sätzen wie: „: ‚Mir tut es überhaupt nicht leid um diese verschleierte Kopftuchschlampe. Und noch dazu ein Moslem im Bauch weniger!‘ kommentiert.

Als Hauptredner auf der Kundgebung  war der amerikanische Religionswissenschaftler Robert Spencer eingeladen worden, der sich durch seine Teilnahme an der Anti-Islam-Konferenz 2007 einen Namen verschafft hatte, als er dort versuchte, zusammen mit Politikern der rechtsextremen Vlaams Belang ein transnationales Bündnis zu schaffen. Zwar distanzierte er sich persönlich bald darauf von rechtsextremen Kreisen, jedoch äußerte er sich 2010 dahingehend, dass die teils aus Hooligankreisen hervorgegangene rechtsextreme English Defence League sein Wohlwollen genieße. Spencer trat auch noch bei den am Freitag und Samstag stattfindenden Seminaren als Referent auf, wobei sich seine Beiträge in eine lange Liste von Vorträgen über Christenverfolgungen und Islamkritik, so wie Organisationspolitik eingliederten. Für den Sonntag hatte Pax-Europa dann noch eine „Salute Israel Day Parade“ angekündigt, welche mit einer weiteren Kundgebung vor dem Rathaus enden sollte.

Am Samstag versammelten sich Antirassisten dann in Stuttgart Feuerbach, um dort gegen die BPE, welche einen Tag zuvor bei Pius-Brüdern Unterschlupf gefunden hatten, zu demonstrieren. Zuvor waren nach mehrfachen Protesten des Bündnisses „no racism„, des muslimischen Vereins, sowie des Stadtrats der Linken gegenüber dem städtischen Vermieter die Räumlichkeiten für die BPE im Bürgerhaus Feuerbach aufgekündigt worden, sodass ihre Seminare am Samstag nur verkürzt in einem deutlich teureren Hotel stattfinden konnten.

So fand am Samstag nur ein Workshop bei den Pius-Brüdern statt, welcher aber durch ca. 2 Dutzend Antifaschisten, die den Vorhof der Kirche besetzten, weitgehend verhindert wurde. Diese Aktivisten wurden wieder von einem größeren Aufgebot der Polizei eingekesselt und drangsaliert, ehe sie in Polizeigewahrsam genommen wurden. Hierbei kündigte man ihnen an, rechtliche Schritte gegen sie einzuleiten. Sie wurden in das Feuerbacher Polizeirevier verbracht. Bei Aktionen für die Freilassung der Aktivisten kam es zu weiteren Übergriffen seitens der Polizei.

Am Sonntag stand dann der Gründungsparteitag „der Freiheit“ in Baden-Württemberg an, bei dem es am Rande zu Auseinandersetzungen zwischen Linken und Anhängern der Partei in einem Parkhaus kam.

Die von der BPE für diesen Tag angesagte „Salute Israel Day“-Parade wurde, wahrscheinlich aufgrund der erwarteten Gegenproteste, abgesagt.

Ein Erfolg, aber keine neue Arä bei der Stuttgarter Polizei

Die insgesamt erfolgreichen Aktionen wurden von der hohen Anzahl an Verletzten überschattet. Aber es gelang den Demonstranten, ihren Protest erfolgreich gegenüber einem fast gleich starken Polizeiaufgebot vorzutragen. Was gerade nach Heilbronn, als die Polizei mit einem Großaufgebot den antifaschistischen Protest klein hielt, auch wieder motivierend auf die antifaschistische Bewegung wirken dürfte. Letztlich konnte die BPE ihre Kundgebung nur äußerst kurz, ihre Seminare nur gekürzt und ihre Parade gar nicht stattfinden lassen und dürfte somit gespürt haben, dass auch Rechtspopulismus entschiedene Gegner findet.

Die Stuttgarter Polizei bewies anhand der auffällig vielen Kopfverletzungen auch ein weiteres Mal ihren Hooligan-Charakter. Hier ließ sich dann auch erkennen, dass es keine gravierenden Veränderungen bei der Stuttgarter Polizei nach dem Rücktritt von Stuttgarts Polizeipräsident Stumpf gab. Ihm hatte man Teilschuld an der gewalttätig auftretenden Polizei am 30.09 gegeben. Teilschuld, aber mehr kann es nach den neuerlichen Ereignissen auch nicht gewesen sein, so zeigte sich die Polizei auch unter dem neuen Polizeipräsidenten Züfle weiterhin gewaltbereit.

Zwar war Herr Züfle erst am 1. Juni angetreten, jedoch widersprach schon alleine das massive Polizeiaufgebot seinen Verkündungen von Kommunikationsbereitschaft und Dialog. Das Freiprügeln des Platzes dürfte wohl auch kaum das von ihm gewünschte Vertrauen in die Polizei gestärkt haben. Dass es hier von ihm kein Einschreiten oder auch nur mahnende Worte gab, lässt seine Ankündigungen zu schlichten Worthülsen werden. Wobei man sich auch einmal fragen sollte, ob die Stuttgarter Polizei nicht auch reine Gewalttäter in ihren Reihen hat, die knüppeln, egal was erwünscht wird. Ansonsten, ohne Gewaltbereitschaft in den Reihen der Polizei, lässt sich dieses sich immer wiederholende Vorgehen der Polizei kaum begründen.

Gerade hier in Baden-Württemberg, wo Grüne und SPD sich so über den 30.09 beschwerten und nun meinten, es besser zu machen, sollte man sie mit den immer noch vorherrschenden Zuständen in der Polizei konfrontieren. Denn nur eine grundlegende Reform kann diese Zustände bei der Polizei aufheben, wozu die von AI geforderte Kennzeichnungspflicht ein erster Schritt wäre. Ein weiterer ist das unabhängige Auswerten des Bildmaterials der Polizei. Das wäre auch im Interesse der PolizistInnen, die sich der Verhältnismäßigkeit der Mittel verbunden fühlen.

Text/Fotos: buma