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G20-HH Demo-1 Reinhard-Schwandt11.07.2017: Während im Mittelmeer wieder Flüchtende ertranken, weigerten sich die G20-StaatenlenkerInnen, konkrete Verpflichtungen gegen die Ursachen von Flucht einzugehen ++ G20-Initiative »Compact with Africa« soll Afrika attraktiver für Investoren machen ++ "Aber wo bleiben die Rechte der Bürger und Bürgerinnen", fragte Jane Nalunga auf dem G20-Alternativgipfel ++ Europa erzeugt mit verheerenden Freihandelsabkommen die Flüchtlinge selbst ++ Afrika widersteht!


Mit Antritt der G20-Präsidentschaft hatte die Bundesregierung verkündet, dass sie die Fluchtursachen in Afrika angehen und Menschen in ihren Herkunftsländern eine Lebensperspektive geben werde. Die zwanzig führenden Industrie- und Schwellenländer sollen "mehr Verantwortung für Afrika" übernehmen, hatte sich Gastgeberin Angela Merkel gewünscht. Zentraler Baustein sollte die »G20 Compact with Africa-Initiative« sein. "Der »Compact with Africa« steht für einen völlig neuen Ansatz in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit", erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Der G20-Gipfel sollte Maßnahmen gegen Hunger, für Bildung und Frauenrechte und den Klimawandel beschließen.

Doch nach dem Gipfel musste Angela Merkel indirekt einräumen, dass es in der entsprechenden Arbeitssitzung gar nicht wirklich um die Pläne für mehr Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent gegangen sei. Stattdessen wurde mit den USA um eine Formulierung zum Thema Klima gerungen. Mit dem Ergebnis, dass die Fahrt in die Klimakatastrophe ungebremst weitergeht.

In den Medien wird, wie die Sprecherin der Interventionistischen Linken, Emily Laquer, sagt, der Gewalt des Mobs auf der Straße so überbordend viel und der strukturellen Gewalt – Hunger, Kriegen, Mittelmeertoten, Frauenmorden, Klimawandel, Umweltzerstörung – so erbärmlich wenig Aufmerksamkeit beigemessen.

Afrika: Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessern

Aber selbst wenn »Compact with Africa« eine größere Rolle gespielt hätte, wäre dies nur eine Radikalisierung der altbekannten Konzepte, die zu nichts führen, außer dem immer gleichen Teufelskreis von Profiten für westliche Konzerne und Beteiligungen für eine kleine afrikanische Elite. Mit den bekannten Folgen: steigende Ungleichheit in der Region, grassierende Armut, schwelende Konflikte. Denn bei »Compact« geht es darum, "die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern … und so das Engagement des privaten Sektors in Afrika zu steigern". (Erklärung des Bundesfinanzministeriums)


"Sie schließen ihre und unsere Grenzen und nehmen in Kauf, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken."

Elizabeth Ngari, Women in Exile



 

 "Bei dem »Compact« geht es nicht darum, den Menschen in Afrika aus der Armut zu helfen. Sein Zweck ist es, für Unternehmen aus den G20-Ländern Investitionsmöglichkeiten zu schaffen", sagte Jane Nalunga, Expertin für Handel, Steuern und Investitionen beim Southern and Eastern Africa Trade Information and Negotiations Institute (SEATINI) aus Uganda, eine der Referentinnen des G20-Alternativgipfels »Gipfel für globale Solidarität«. "Alles dreht sich um die Rechte von Investoren. Afrika soll sich für sie attraktiv machen. Aber wo bleiben die Rechte der Bürger und Bürgerinnen? Infrastrukturen an sich führen nicht zu Entwicklung", so Nalunga.

"Eigentliches Ziel des »Compacts« ist es, angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase sichere Anlagemöglichkeiten für institutionelle Anleger in Afrika zu schaffen und die dort erzielbaren höheren Renditen beispielsweise über Public Private Partnerships – kurz PPP – zu erschließen", meinte Jana Mattert vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand.

Auch Elizabeth Ngari von Women in Exile kritisierte die Afrikapläne der Bundesregierung: "Ist das Partnerschaft oder Repression? Wie lange wollen wir die Würde von Menschen eintauschen gegen Profite? Was wir erleben ist die erste Stufe eines modernen Neo-Kolonialismus im Zusammenspiel mit Rassismus und einer Diktatur der EU. Sie schließen ihre und unsere Grenzen und nehmen in Kauf, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es ist traurig, dass afrikanische Staaten sich für solche Pläne zur Verfügung stellen. Wir fordern ein Recht zu kommen – zu gehen – zu bleiben!"


Freihandelsabkommen mit Afrika: Europa erzeugt die Flüchtlinge selbst

Während die herrschende Politik verspricht, die Fluchtursachen in den armen Ländern zu bekämpfen, setzt die Europäische Union gleichzeitig in Afrika verheerende Freihandelsabkommen durch. Die Abkommen namens EPA (Economic Partnership Agreement) legen fest, dass die afrikanischen Länder ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe öffnen und hierbei schrittweise Zölle und Gebühren abschaffen müssen. Im Gegenzug wird ihnen weiterhin zollfreier Zugang zum europäischen Markt gewährt.

"Eigentlich sollte man annehmen, dass es ein gemeinsames Interesse an einer Vereinbarung gibt, die der Wirtschaft in diesen Ländern auf die Beine hilft. Schließlich ist es gerade die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit, die die afrikanischen Migranten nach Europa treibt. Wenn sie in ihren eigenen Ländern Aussicht auf eine anständige Arbeit hätten, kämen sie gar nicht erst auf die Idee, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um nach Europa zu gelangen", sagt Hafsat Abiola-Costello, nigerianische Aktivistin für Menschenrechte und Demokratie und Mitglied des Staatskabinetts in Ogun State, dem industriellen Zentrum Nigerias.

Doch diese Abkommen sind Abkommen zur Handelsliberalisierung und keine Entwicklungsabkommen. EPA würde "unsere Märkte in eine Müllhalde für europäische Produkte verwandeln", sagt Hafsat Abiola-Costello. "Es würde nicht nur die Chancen unserer kleinen und mittelgroßen Unternehmen erheblich schmälern, die gegen die europäische Konkurrenz keine Chance hätten. Mittel- bis langfristig würden der nigerianischen Regierung auch spürbar Steuereinnahmen entgehen."

Auch der zuständige UN-Wirtschaftsexperte für Ostafrika, Andrew Mold, sieht dadurch die afrikanische Wirtschaft langfristig bedroht. "Die afrikanischen Länder können mit einer Wirtschaft wie der Deutschen nicht konkurrieren. Das führt dazu, dass durch den Freihandel und die EU-Importe bestehende Industrien gefährdet werden und zukünftige Industrien gar nicht erst entstehen, weil sie dem Wettbewerb mit der EU ausgesetzt sind", sagte er in der ARD-Sendung Report Mainz. Die "Stillstand-Klauseln" in den vorgeschlagenen EPAs würden den afrikanischen Ländern zusätzlich untersagen, künftig jegliche Schutzzölle zu erheben, wenn sie ihre eigenen Industrien aufbauen wollen.

Viele in Afrika werfen die Frage auf, warum der EU erlaubt sein soll, landwirtschaftliche Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU zu nutzen, während die EPA-Regeln den afrikanischen Ländern dies verbieten würden. In der Tat hat es die EU sowohl unter den EPAs als auch in der WTO abgelehnt, über ihre eigenen Agrarsubventionen zu verhandeln. Und so kann die EU die afrikanischen Länder mit Hühnerschenkel, Milchpulver und Tomatenmark zu Dumpingpreisen überschwemmen und verdrängt afrikanische Kleinbauern vom Markt.

Ein Grund, warum die EU Druck für den Abschluss der Abkommen macht, hängt mit ihrer Rohstoff-Initiative und ihrer 2015 aktualisierten Handelspolitik zusammen. Diese zeigen sehr deutlich, dass sie beabsichtigt, handelspolitische Deals wie die EPAs zu nutzen, um die Öffnung von Entwicklungsländern zu erzwingen, damit EU-Investoren dort einen leichteren Zugang zu Rohstoffen bekommen und sie dann in die EU zur Weiterverarbeitung exportieren können. Nach Aziz Mlima, Staatssekretär im tansanischen Außenministerium, würde diese EPA-Bestimmung Tansanias einheimischen Unternehmern die Möglichkeit nehmen, solche Rohstoffe künftig selbst zu verarbeiten und das Land auf die Stufe einer "Rohstoffquelle für europäischen Industrien" verbannen. In der Tat hat Tansania im letzten August ein Exportverbot für lebenswichtige Mineralien verhängt, was unter den WTO-Regeln erlaubt ist, aber unter dem vorgeschlagenen EPA verboten wäre.

Am meisten zu verlieren haben die am wenigsten entwickelten Länder, die vor den EPA noch uneingeschränkten Zugang zum EU-Markt hatten. Von den 16 westafrikanischen Ländern gehören zwölf zu den am wenigsten entwickelten Staaten weltweit. Diese 12 Länder haben die Abkommen mit der EU angenommen, weil sie am meisten von europäischer Entwicklungshilfe abhängig sind und sich dem Druck beugen mussten. Am 10. Okt. 2016 trat das EU-Freihandelsabkommen mit Namibia, Botswana, Swasiland, Südafrika und Lesotho in Kraft.

Afrika widersteht

Anfang Februar 2017 wollte die EU mit den Staatschefs der sechs Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) eigentlich ein Freihandelsabkommen abschließen. Da die Ostafrikanische Gemeinschaft eine Wirtschafts- und Zollunion darstellt, müssten alle Unionsmitglieder die Vereinbarungen mit der EU unterzeichnen, um die Vereinbarungen auch umzusetzen. Doch weigerten sich einige Regierungen. Daraufhin hat die EU Einfuhrzölle auf mehrere Produkte aus Afrika, darunter ein zeitweiliger Importstopp auf kenianische Blumen, verhängt, was zu Entlassungen z.B. in Kenia führte. Unter diesem Druck hat Kenia das Abkommen dann doch unterschrieben.

Aber nun stellt sich Tansania unter dem neuen Präsidenten John Magufuli quer und will den Freihandelsvertrag nicht unterzeichnen, um die Ansätze einer eigenen Verarbeitungsindustrie und den Agrarsektor zu schützen.

Von den 16 westafrikanischen Ländern sperren sich nur noch drei gegen die Ratifizierung des Abkommens: Nigeria, Mauretanien und Niger.

Dabei vereinigt Nigeria 78 Prozent der Wirtschaftsleistung und 180 Millionen der 330 Millionen Einwohner der Region auf sich. "Die Unruhen im Norden und äußersten Süden des Landes haben unserer Regierung deutlich gemacht, was bei diesen Verhandlungen auf dem Spiel steht. Sie kann nur ein Abkommen akzeptieren, das bessere wirtschaftliche Perspektiven für weite Teile der einheimischen Bevölkerung ermöglicht. Anders kann es in einem Land, in dem 56 Prozent der 15- bis 34-Jährigen arbeitslos oder geringfügig beschäftigt sind, nicht sein", sagt Hafsat Abiola-Costello. Erst am 3. Mai 2017 hat die Vereinigung der Fertigungsindustrie Nigerias Präsident Muhammadu Buhari wieder einmal gewarnt, EPA in der jetzigen Form zu unterzeichnen, weil es negative Folgen für die lokale Fertigung, Arbeitsplätze, Investitionen und Steuereinnahmen hätte.

Das ölreiche Nigeria sagt »Nein«, weil es sich nicht ewig als Rohstofflieferant in der Weltwirtschaftsordnung festschreiben lassen will. Nigeria verfolgt eine Industrialisierungsstrategie und wirbt dafür um ausländische Investoren – bislang mit begrenztem Erfolg. Die EPA werden dafür sorgen, dass es so bleibt. Denn der Ansatz der EU ist klar: weitere Öffnung der afrikanischen Märkte für verarbeitete EU-Produkte gegen Hilfe für Afrika bei der Forcierung des Rohstoffexports. Damit wird die Unterentwicklung festgeschrieben.

Weil das Abkommen Einstimmigkeit voraussetzt, kann es von den drei verbliebenen Ländern blockiert werden. "Aber es gibt keine Garantie, dass wir ein besseres Angebot zu sehen bekommen. Dafür müsste die EU bereit sein, ihre Politik zu ändern", meint Hafsat Abiola-Costello.

"Die Toten und die Lebenden sind eine Anklage an uns alle."
Hafsat Abiola-Costello

Auch wenn die Flüchtlinge aus kriegsgeplagten Ländern wie Syrien und Afghanistan derzeit die Schlagzeilen bestimmen, kommen die meisten Flüchtende nach wie vor aus Westafrika. Hunderttausende sind auf der Flucht vor Elend und Perspektivlosigkeit nach Europa aufgebrochen. Jetzt sitzen sie in libyschen Internierungslagern und siechen dahin. Ihre Lage ist desaströs. KZ-ähnliche Verhältnisse herrschten in den Lagern, so ein G20-HH-Demo-UliSdeutscher Botschafter. Tausende von ihnen sind auf der Flucht gestorben.

"Die Toten und die Lebenden sind eine Anklage an uns alle", sagt Hafsat Abiola-Costello. Wenn Europa tatsächlich den massenhaften Exodus der Flüchtenden aufhalten wolle, wäre es jetzt Zeit, sich für eine andere Politik einzusetzen und die Ursachen dafür zu bekämpfen, dass ganze Familien verzweifelt genug sind, um ihr Leben bei einer Fahrt über das Mittelmeer aufs Spiel zu setzen.

Aber anstatt ihre Handels- und Wirtschaftspolitik zu verändern, ergehen sich die G20 in leeren Phrasen und rücken die eigenen Vorteile in den Vordergrund: "sichere, geordnete und reguläre Migration kann erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen und Vorteile bergen", heißt es in der Abschlusserklärung des G20-Gipfels in Hamburg.

Die Europäische Union zieht die Grenzen hoch und stößt die Menschen zurück ins Meer. Hilfsorganisationen, die Ertrinkende aus dem Meer retten, werden kriminalisiert. Dafür sucht sich die EU Kumpane wie den türkischen Präsidenten Erdogan oder libysche Warlords, um die Flüchtenden schon vor Europas Grenzen abzufangen; schwerbewaffnete Milizen, die mit aufgerüsteten Küstenkontrollbooten tausende Flüchtlinge aus den Booten holen und zurück in libysche Lager zwingen. Im Auftrag und bezahlt von der EU.

Da kommen die Ausschreitungen in Hamburg gerade recht, um von diesen Verbrechen abzulenken.

fotos: Reinhard Schwandt (Foto oben), Ulrike Schmitz bei Demo "Grenzenlose Solidarität statt G20"


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