Deutschland

Autobahnprivatisierung Chris Grodotzki-Campact23.06.2016: Verkehrsminister Dobrindt will für weitere 50 Milliarden Euro Autobahnen und Bundesstraßen ausbauen. Allianz, Deutsche Bank und Co. sollen diesen Ausbau finanzieren – und dabei prächtig verdienen. Dazu will die Bundesregierung das Grundgesetz ändern. Für Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Vorstandsmitglied marxistische linke, geht dies in die falsche Richtung: "Was wir brauchen sind Konzepte zur systematischen Vermeidung und Verlagerung von Verkehr – und dazu die passende Infrastruktur." Campact startete eine Kampagne gegen die geplante Privatisierung der Autobahnen.

 


Mit einem 264-Milliarden-Investitionsprogramm aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030, davon 50 Mrd. für den weiteren Ausbau des Autobahn- und Bundesstraßennetzes, will die Bundesregierung die autozentrierte Verkehrspolitik in die Zukunft fortgeschreiben. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 habe eine grundlegend falsche Ausrichtung, erklärt Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Vorstandsmitglied von marxistische linke. Die Mittel sollten stattdessen verwendet werden, um die umweltfreundliche Eisenbahn auszubauen. "Es darf nicht länger um Strategien für mehr Verkehr gehen. Was wir brauchen sind Konzepte zur systematischen Vermeidung und Verlagerung von Verkehr – und dazu die passende Infrastruktur", sagt sie und fordert einen alternativen Bundesmobilitätsplan, mit dem der öffentliche (Nah-)verkehr systematisch zu den Leuten gebracht und Wegezeiten verringert werden. (siehe unten)

Autobahnen als Goldgrube für Konzerne

Die Koalition in Berlin will aber nicht nur die verfehlte Verkehrspolitik fortschreiben, sondern die Autobahnen in eine Goldgrube für Konzerne verwandeln. Denn Allianz, Deutsche Bank und Co. sollen den Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen finanzieren - und dabei prächtig verdienen. Denn diese wollen eine Rendite von 4 Prozent - das Achtfache dessen, was eine Staatsanleihe kosten würde.

Für diese Privatisierung der Fernstraßen will Bundesverkehrsminister Dobrindt eine Finanzierungsgesellschaft gründen. Dazu muss allerdings das Grundgesetz geändert werden. Attac liegt der Entwurf für einen geänderten Artikel 90 des Grundgesetzes im Wortlaut vor. Danach könnten bis zu 49,9 Prozent einer Fernstraßengesellschaft vom Bund an private Investoren verkauft werden.

Bundeskanzlerin Merkel wollte sich bereits vergangene Woche die Zustimmung der Ministerpräsidenten der Bundesländer zur diesbezüglichen Grundgesetzänderung holen. Campact organisierte Proteste vor der Tagungsstätte. Allerdings wurde das Thema kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt. Einige Bundesländer sperren sich gegen die Privatisierung der Autobahnen. Damit gerät der Zeitplan der Bundesregierung, die Autobahnprivatisierung noch vor der Bundestagswahl über die Bühne zu bringen, stark ins Wanken.

Die Privatisierung der Autobahnen kann verhindert werden
Campact will den Protest gegen die Autobahnprivatisierung mit der Kampagne "Die Autobahn-AG lässt sich stoppen!" erhöhen.
Appell gegen die Autobahn-AG!: https://www.campact.de/autobahn-ag/appell/teilnehmen/


Sabine Leidig:

Der Bundesverkehrswegeplan 2030 gehört in die Tonne …. Wir haben nicht zu wenig Straßen, sondern zu viel Verkehr!

Der BVWP 2030 zielt im Kern auf weiteres Wachstum von Verkehr will damit für die nächsten Jahrzehnte eine Entwicklung betonieren, die weder sozial noch ökologisch zeitgemäß ist. Das Dogma „Mehr Verkehr bedeutet mehr Wohlstand“ muss endlich fallen.

85 Prozent der Bevölkerung stimmen der Aussage zu, dass weniger Autoverkehr in den Städten und Gemeinden mehr Lebensqualität bedeutet; Als Störfaktor Nummer eins wird Verkehrslärm genannt; Und volkswirtschaftlich verursacht der PKW-und LKW-Verkehr jedes Jahr alleine im Gesundheitswesen 55 Milliarden Euro „externe“ Kosten durch Unfälle und Erkrankungen. Und überdies werden Dieselfahrzeuge mit rund 7 Milliarden und Flugverkehr mit etwa 10 Milliarden öffentlich subventioniert. Dazu kommen Flächenversiegelung und Klimazerstörung. Über alle Fraktionen hinweg sind sich Umweltpolitiker*innen einig, dass die Klimaschutzziele nur erreicht werden können, wenn Verkehrswachstum gestoppt wird – denn im Unterschied zu anderen Sektoren steigt dort der CO2-Ausstoß weiterhin und macht rund ein Viertel der Belastung aus.

Nun will der Verkehrsminister aber für weitere 50 Milliarden Euro Autobahnen und Bundesstraßen ausbauen. Teils gegen den gut begründeten Widerstand von Bürgerinitiativen und ohne auch nur eine einzige der von Umweltverbänden vorgeschlagenen Alternativen zu berücksichtigen. Dabei ist empirisch belegt, dass jede neue Investition in die Straßeninfrastruktur weiteren Straßenverkehr induziert: „wer Straßen sät wird Verkehr ernten“ – der Stau wird künftig nicht auf zwei, sondern auf drei Spuren stehen.

Verkehr ist nicht Leistung, sondern Aufwand, den es zu minimieren gilt

Es darf nicht länger um Strategien für mehr Verkehr gehen. Was wir brauchen sind Konzepte zur systematischen Vermeidung und Verlagerung von Verkehr – und dazu die passende Infrastruktur.

Der Verkehrssektor in Westdeutschland war bis weit in die 1990er-Jahre sehr streng reguliert; Kontingente und Wettbewerbsbeschränkungen haben verhindert, dass sich eine unendliche Flut von Lkws auf die Straßen ergießt und dass die Konkurrenz zur Schiene systematisch organisiert wird. Die marktradikale Liberalisierung hat das politisch geändert – keine „naturgesetzliche“ Entwicklung.

Die basisdemokratisch gestützte Schweizer Alpeninitiative macht besonders unsinnige Transporte zum Thema: die Aargauer Zentralmolkerei AZ lässt ihren Rahm in Belgien und Italien in Sprühdosen abfüllen (2000 km Fahrt); Nestlé Waters importiert Mineralwasser aus Italien und Südfrankreich ins "Wasserschloss Europas". Deutschland führt ebenso viele Tonnen Zucker oder Viehfutter ein wie aus – wozu?

Genauso wenig wie mehr Transportkilometer eine bessere Versorgung bedeuten, verbessern höhere Geschwindigkeiten die Mobilität. Im herrschenden Verkehrssystem gibt es keine Zeitersparnis, sondern immer längere Wege. Auch diesen Trend gilt es umzukehren.
Einstweilen wird ein alternativer Bundesmobilitätsplan gebraucht, um den öffentlichen (Nah-)verkehr systematisch zu den Leuten zu bringen und die Fahrradinfrastruktur endlich bedarfsgerecht auszubauen.  

 

foto: Chris Grodotzki / Campact


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