Deutschland

Berufsverbote_GEW_170312_KSt_5328a18.03.2012: Der Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nahm am Samstag, den 17. März 2012 seine Sitzung in Göttingen zum Anlaß für eine Veranstaltung „40 Jahre Radikalenerlaß“. Eingeladen waren dazu Betroffene der Berufsverbotepolitik. Mehr als 200  füllten das Forum der Geschwister-Scholl-Gesamtschule. Sie konnten einen Beschluß vom Vortage zur Kenntnis nehmen, in dem die GEW die Berufsverbotepolitik für falsch erklärt. Sie habe eine verhängnisvolle gesellschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt.

„Politik muss aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und demokratisches Denken in einer pluralistischen Gesellschaft zulassen und stärken. Radikalenerlass und Berufsverbote waren ein verhängnisvoller politischer Fehler, der sich nicht wiederholen darf. Er hat das Leben zahlreicher Menschen massiv beeinträchtigt, ihnen Berufs- und Lebenschancen genommen. Der Staat schuldet den Opfern bis heute eine Rehabilitation. Die Demokratie hat erheblichen Schaden genommen“, sagte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne.

Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts laute die Devise der Verfassungsschutzbehörden und vieler Politiker offenbar jedoch immer noch: „Der Feind steht links.“ „Das eklatante Versagen der Sicherheitskräfte im Fall der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle fördert einen blinden Fleck gegenüber der Gefahr von Rechts zu Tage“, unterstrich Thöne. Es sei an Zynismus kaum zu überbieten, dass sich auch jene, die sich im Kampf gegen Rechts engagieren, einem Generalverdacht der Verfassungsuntreue ausgesetzt sähen. Der GEW-Vorsitzende forderte die Bundesregierung auf, die sogenannte „Extremismusklausel“ unverzüglich zu streichen. Als besorgniserregend bezeichnete Thöne darüber hinaus die Offensive von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gegen vermeintlichen „Linksextremismus“ in den Medien. „Wer ein derartiges politisches Klima fördert, braucht dringend Nachhilfe in Geschichte. Frau Schröder sollte sich mit der erschreckenden Tatsache befassen, dass gut ein Fünftel der jungen Menschen unter 30 Jahren mit dem Begriff Auschwitz nichts anfangen kann.“

Zwei junge Schauspielerinnen, Rosa Jansen und Katharina Schenk, lasen einen Text zum Thema Gesinnungsschnüffelei und Hexenjagd, vorwiegend mit aus Berliner Akten. Frank Behrens, GEW Bremerhaven, sprach zu den politischen Auseinandersetzungen in den frühen 70er Jahren zum Thema Radikalenerlaß und konnte sich dabei auf eigenen Erfahrungen stützen. 1973 war ihm seine Staatsexamensarbeit mit der Note sehr gut bewertet, diese Bewertung aber offenbar auf Drängen des Schulamts zum „ungenügend“ umbewertet worden. Allerdings genügte dieses Manöver rechtlich nicht, um das DKP-Mitglied aus dem Schuldienst zu entfernen. Der Magistrat leitete zwei Jahre später ein neues Verfahren gegen ihn ein.Auch das scheiterte an der breiten Solidarität von Eltern, Schülern, Kollegen und Wissenschaftlern. Erst 1978 gab der Magistrat auf.

Übrigens: Elf Jahre später wurde Frank Behrens zum Vorsitzenden der Bremer GEW gewählt, 2001 wurde er Leiter des Fortbildungsinstitutes von Bremerhaven. Bei seiner Verabschiedung im Juli 2011 werden ihm große Verdienste um die Bildungslandschaft in Bremerhaven bescheinigt.

Es folgt eine lebhafte Diskussion mit Beiträgen, die die Lächerlichkeit der Begründungen und die häufigen Absurditäten in der Folge der Politik der Berufsverbote erkennen lassen, aber auch das Gewicht der Solidarität im Kampf gegen die Berufsverbote. An ihr hat es bis weit ins Ausland nicht gemangelt.

Rüdiger Offergeld, dessen Stellvertreter als AjLE-Bundesvorsitzender Frank Behrens seinerzeit gewesen ist, hatte als Sozialdemokrat in Bayern Berufsverbot. Er ist nie in den öffentlichen Dienst gekommen. Als linker Sozialdemokrat und Gewerkschafter sei er ständig an Mauern gestoßen. Er mußte sich, wie er sagt, umdefinieren und machte sich als Schriftsteller einen Namen.

Nach ihm spricht Klaus Lipps. Ihm und einigen Betroffenen aus Baden-Württemberg ist die Initiative für die Erklärung zu verdanken, mit der mittlerweile über 200 Betroffene „endlich Aufarbeitung und Rehabilitierung“ verlangen. Zahlreiche Veröffentlichungen und Veranstaltungen mit medialer Aufmerksamkeit folgen seither. Eine davon: dieses GEW-Forum. 

Prof. Wolfgang Wippermann ordnet die Berufsverbote in seinem Referat zeithistorisch ein. Er nennt drei Radikalenerlasse, von 1848, von 1933 („...Gewähr bietet, jederzeit für den nationalen Staat einzutreten...“) und von 1972. Der Extremismuserlaß der Kerstin Schröder sei ebenfalls ein Radikalenerlaß. Die Totalitarismustheorie habe keine wissenschaftliche Grundlage, der Totalitarismus sei ein antikommunistischer Kampfbegriff. Die Grundgesetzkommentatoren Leibholz, aber auch Maunz, Herzog u.a. hätten den Totalitarimus aus dem Gegensatz zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (FDGO) definiert. Er erinnert an die Richtlinien zur Ostkunde. Sie seien aber von den Lehrern nicht wie gewünscht umgesetzt worden. Der Antifaschismus, offenbar unvereinbar mit den herrschenden BRD-Verhältnissen, verschwinde im Begriff des Totalitarismus. Heute spreche man lieber statt über Radikalismus von Extremismus. Was ist „extrem“? Extrem ist schlecht, extrem ist von der Mitte entfernt, Extremismus werde als Antidemokratismus gedeutet.

Sowohl Hartmut Tölle, der Vorsitzende des DGB Bezirks Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt wie Olaf Thöne versichern am Ende den Betroffenen ihre Solidarität, wollen mit Nachdruck sich für Rehabilitierung und Entschädigung einsetzen. Ein Auftakt.

Text/Fotos: Klaus Stein

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