Europa

alt19.07.2012: Der Exekutivausschuss der Europäischen Linken tagte vom 14.-15. Juli in Athen, beriet und erarbeitete gemeinsamen Positionen u.a. zur europäischen Finanz- und Schuldenkrise, zum Verbot kommunistischer Symbole in Moldawien und zur Solidarität mit linken Kräften Lateinamerikas aus aktuellen Anlässen. Nachstehend in eigener Übersetzung aus dem Englischen die Verlautbarung zu aktuellen Aspekten der Krise Europas.

Kritische Zeiten für Europa - Schwierige Verantwortung für die Linke

Die Krise in Europa schreitet voran. Und dennoch gibt es dank der positiven Entwicklungen der Linken in verschiedenen europäischen Ländern für alle europäischen Völker auch neue Hoffnung, dies besonders nach der jüngsten beispiellosen Stärkung von SYRIZA/USF in Griechenland und nach dem bedeutenden Anwachsen der Front de Gauche (Linksfront) in Frankreich. Diese neue Lage stärkt den Einfluss einer europäischen linken Alternative gegen den gefährlichen Fiskalpakt und all die Politik der Austerität und des autoritären Rigorismus.

Die Staatsführer unserer Länder erklären, dass sie vom EU-Gipfeltreffen mit Siegen für ihre Völker zurückkehren und dass Kanzlerin Merkel, Mario Draghi oder Jean-Claude Junker eingelenkt hätten. Sie reden davon, dass sie "Europa gerettet" hätten - dies jetzt zum 19. Mal seit dem Beginn der Krise. Francois Hollande sagt sogar, dass Europa in die richtige Richtung "neu ausgerichtet" worden sei. Dies alles ist irreführende Eigenwerbung.

Der Optimismus der neoliberalen Mehrheit in der EU gründet sich hauptsächlich auf die Entscheidung zur direkten Re-Kapitalisierung der Privatbanken mittels europäischer Maßnahmen, ohne augenscheinliche Belastung der öffentlichen Schulden der EU-Mitgliedsstaaten. In Wirklichkeit jedoch fechten diese Maßnahmen die Dominanz der Märkte nicht an und sind nicht in der Lage, die beispiellose Finanzkrise aufzuhalten. Private Banken werden weiter mit Geldspenden versorgt und ohne jegliche öffentliche, demokratische Kontrolle gerettet, während die Bürger [finanziell] erstickt werden.

Diese Maßnahmen können die strukturelle europäische Krise nicht lösen und werden zudem begleitet von drastischen Sparauflagen. Unabhängig davon, dass die Europäische Linke jene sogenannten "Lösungen" zurück weist, sind wir besorgt wegen des Ausschlusses von Griechenland - des Mitgliedstaates der EU, der sich den extremsten finanziellen und sozialen Problemen gegenüber gestellt sieht - aus den vom Europäischen Rat verabschiedeten finanzwirtschaftlichen Regelungen. Dies ist ein weiterer Beweis, dass das Land nicht als ein gleichwertiges Mitglied der Eurozone behandelt wird und dass es ein gefährliches, laufendes Vorgehen zu seiner schrittweisen Isolation gibt. Unglücklicherweise kann diese Situation auch nicht durch die neugewählte Dreiparteien-Koalition Griechenlands umgekehrt werden, da sie ein loyaler Diener des Memorandums (Anm.: Auflagen von IWF, EU, EZB) und der extremsten Austeritätspolitik ist.

Der 'Merkozy'-Fiskalpakt der EU ist weiter in Kraft, trotz aller [anders lautender] Erklärungen von Francois Hollande. Die Führung der EU hat klargestellt, dass die durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) 'geretteten' Länder erneut die Pflicht haben, die Strategie der internationalen Abwertung durch weitere Sparprogramme, soziale Kürzungen und Angriffe auf Gehälter, Renten und Arbeiterrechte zu bedienen. Gleichzeitig ist der sogenannte 'Wachstums- und Entwicklungspakt' das gleiche, wie der im letzten März angenommene neoliberale 'Europäische Wachstumsplan'.

Die Völker Europas werden weiterhin aufgerufen, den Preis für die massive Sozialisierung der finanziellen Verluste zu zahlen und zudem verlieren sie ihre souveränen und demokratischen Rechte, da die nationalen Budgets von der europäischen Kommission und dem ungewählten 'EURO-Rat' beaufsichtigt werden.

Die wirklichen Ursachen für diese ganze Situation entstehen aus den Widersprüchen des Finanzkapitalismus und aus dem neoliberalen Klassencharakter der europäischen Verträge (beginnend mit dem Vertrag von Maastricht). Die Richtlinien des letzten EU-Vertrages entfernen sich nicht von den neoliberalen Mustern und heben 'Wettbewerbsfähigkeit' als das Hauptprinzip hoch. Wir weisen diese Verträge zurück, weil wir uns für demokratische europäische Institutionen und das Recht der Völker, des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente einsetzen, in jeglicher kritischer Situation die letzte Entscheidung zu haben.

Die Europäische Linke wiederholt ihre Überzeugung, dass nur die Unterwerfung des Bankensektors unter demokratische, öffentliche Kontrolle und die radikale Umwandlung der neoliberalen Architektur der Euro-Zone und der EU einen Ausweg aus der Krise erlauben.

Alle existierenden und ebenso alle neuen Mechanismen - das Budget, die Finanzinstitutionen der EU, sowie das Bankensystem müssen demokratisch kontrolliert und auf eine neue Art von Wachstum hin ausgerichtet werden. Dies ist das Ziel unseres Vorschlages für die Schaffung einer demokratisch kontrollierten europäischen öffentlichen Bank für soziale Entwicklung, für Ökologie und Solidarität. Diese wird öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, öffentliche Dienst, Infrastrukturen und ökologischen Umbau finanzieren. Diese Bank selbst wird aus einen 'Finanztransaktionssteuer', dem Budget der EU und durch die EZB finanziert, die Geld herschaffen kann.

Es ist ebenso Zeit, Beschäftigung voran zu treiben und öffentliche Investitionen zu ermöglichen, Löhne zu erhöhen und eine Umverteilung von Einkommen zwischen Kapital und Arbeit zu organisieren, sowie eine konsequente Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen zu verwirklichen, anstatt andauernd die Profitabilität des Finanzsektors zu fördern.

Aus jeden Fall muss es umgehende, dauerhafte europäische Lösungen für die bestehende Krise der Staatsschulden geben, beginnend bei einem radikalen Wandel der Rolle der EZB und ihrer Umwandlung in eine wirkliche Zentralbank, indem sie zu einem Kreditgeber letzter Instanz durch den Verkauf von Staatsanleihen [EURO-Bonds] wird und dadurch das spekulative Spiel mit Staatsanleihen von leichter angreifbaren Mitgliedsstaaten blockiert.

Wir schlagen ein europäisches Moratorium für ein zeitweiliges Aussetzen von Kreditrückzahlungen vor, die Probleme der überschuldeten Mitgliedsstaaten nicht zu verstärken und eine 'Europäische Konvention zur Schuldenkrise' zu organisieren, mit der die Streichung eines erheblichen Teils der institutionellen und transnationalen Schulden entschieden wird, um die öffentlichen Schulden auf eine zukunftsfähige Höhe zu bringen. 

Es besteht auch eine unverzügliche Notwendigkeit einer politischen Regulierung des europäischen Finanzsektors durch folgende fünf politischen Maßnahmen:

  1. Europaweite Einführung einer 'Kapitaltransaktionssteuer' auf Kapitalerträge. Um effektiv wirken zu können muss diese Steuer für alle Arten von Finanztransaktionen gelten, die für Spekulationen genutzt werden können.
  2. Ausgabe von EURO-Bonds durch die Europäische Zentralbank für öffentliche Investitionen und soziale Entwicklung, ohne begleitende Bedingungen für eine restriktive Fiskalpolitik im nationalen Rahmen.
  3. Eine klare gesetzliche Unterscheidung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken in Europa.
  4. Aufbau einer europäischen öffentlichen Rating-Agentur.
  5. Schließen von Steueroasen, die innerhalb und außerhalb Europas existieren und der Kampf gegen fiskales Dumping.


Die Entscheidungen des EU-Gipfels zeigen klar auf, dass die Kampagnen der Neoliberalen für eine noch weiter gehende Beschneidung der Volkssouveränität und von demokratischen Entscheidungsverfahren sich verschärfen. Frau Merkel und die EU-Führung nutzen die Krise, um ihre eigenen Konzepte einer 'Politischen Vereinigung' umzusetzen, was der deutschen Regierung und den beherrschenden Kreisen der EU eine entscheidende Kontrolle über nationale Budgets sichern und die fiskale, ökonomische und politische Macht in ihren Händen konzentrieren wird. Die EU-Führung ist bereit, das Vorhaben einer wahren europäischen politischen und sozialen Union zu opfern, um die Interessen der sie steuernden Kräfte und der Märkte zu bedienen.

Zur gleichen Zeit sind mehrere Länder mit autoritären, anti-demokratischen Entwicklungen konfrontiert, der von den Rechtstinstitutionen bestätigten Durchsetzung und der Ausdehnung des Vorhandenseins von unkontrollierten Technokraten in ministeriellen Schlüsselpositionen.

Die griechischen Parlamentswahlen am 6. Mai und 17. Juni waren zwei Augenblicke von historischer Bedeutung für alle Gesellschaften Europas. Die Tatsache, dass es SYRIZA/USF nicht gelang, eine linke Regierung in Griechenland zu bilden, kann das beispiellose Ergebnis der radikalen Linken nicht entwerten, die 27% der Wählerstimmen erzielte und die größte Oppositionspartei im Lande wurde, welches in den letzten beiden Jahren an vorderster Front sowohl des neoliberalen Autoritarismus als auch des Volkswiderstandes war. Dieses Ergebnis hat das Vorhandensein und den Anklang linker Gedanken und alternativer Vorschläge nicht nur in Griechenland, sondern im europäischen und Weltmaßstab erheblich voran gebracht.

Immer mehr Bürger erkennen heute, dass "es eine Alternative gibt", wie es die europäischen Linkskräfte ausdrückten. Die Ergebnisse von SYRIZA/USF in Griechenland, Izquierda Unida in Spanien, Front de Gauche in Frankreich und der Rot-Grün-Allianz in Dänemark, sowie die optimistischen Perspektiven anderer Kräfte, wie der Sozialistischen Partei in den Niederlanden oder Sinn Fein in Irland drücken ein merkliches Anwachsen des Einflusses der Linken und von fortschrittlichen Gedanken aus. Dieses Anwachsen fiel nicht vom Himmel. Es ist ein Resultat des dauerhaften Kampfes gegen die Austeritätsprogramme und den neoliberalen Autoritarismus. Es ist ein Ergebnis der dialektischen Verbindung zwischen der Anwesenheit der Linken in den ausbrechenden sozialen Kämpfen und Bewegungen und der Umwandlung der Hoffnungen der übergroßen Mehrheit in unseren Gesellschaften in konkrete politische Alternativen, welche drängende Vorschläge mit strategischen Zielsetzungen verbinden und unseren Völkern Hoffnung zurück bringt.

Wir sind nun stärker und mehr fähig, den Kampf der europäischen Linken zu verstärken, besonders gegen den zunehmenden Einfluss chauvinistischer Vorhaben und rassistischer, extrem rechter Parteien, aber auch durch die Förderung von Solidarität in unseren Gesellschaften auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene.

In der nächsten Zeit wird die Europäische Linke ihre Anstrengungen und Initiativen für ein noch breiteres Zusammengehen von sozialen und politischen Akteuren in unseren Ländern und in Europa aufs höchste steigern, um die Sparpolitik abzuschrecken, sozial zukunftsfähige Vorschläge zu fördern und die Würde der Opfer der Krise wieder herzustellen.

  • Wir rufen alle unsere Parlamentsmitglieder und Mitglieder des Europäischen Parlaments, unsere Gewerkschafter, Jugend- und Frauenaktivisten auf, ihre Kontakte und gemeinsamen Initiativen zu verstärken, um die Ratifizierung und Verfeinerungen des Europäischen Fiskalpaktes und der Sparprogramme und 'Memoranden' zu verhindern. Wir müssen die Zerstörung unserer Gesellschaften beenden und für die Verteidigung der Demokratie kämpfen.
  • Die Europäische Linke begrüßt den Anstoß eines Gegengipfel-Prozesses und wird an allen zukünftigen Schritten in diesem Prozess teilnehmen.
  • Die Europäische Linke hat mit ihren Partnern aus den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften eine europäische Bürgerinitiative gestartet. Von September an werden wir 1 Million Unterschriften aus allen EU-Mitgliedsländern sammeln, um eine europäische öffentliche 'Bank für soziale und ökologische Entwicklung und Solidarität' zu schaffen. Das ist eine große Herausforderung und ein wichtiger Hebel im Kampf dafür, dass wir aus der Krise durch eine neue Art des Wachstums und der Bürgerbeteiligung in zentralen politischen Ausrichtungen der EU heraus kommen.


Es ist jetzt Zeit, dass die Europäische Linke ein alternatives soziales, politisches und kulturelles Vorgehen in Europa aufzeigt.

Athen, 14-15 Juli 2012

Quelle: Europäische Linke /  Übersetzung: hth