Farkha Festival

Farkha Festival2013 3 kerem 2978 30014.08.2013: Dass es heute bewölkt ist, kommt dem ganzen Festival gelegen, denn die gemeinsame Arbeit in der normalerweise üblichen brütenden Hitze schon am Vormittag wäre sonst noch anstrengender. Nach dem gemeinsamen Frühstück auf dem Innenhof der Schule baut ein Teil der Jugendlichen die große Mauer vor der Schule weiter. Ein anderer Teil bereitet ein Holzgerüst vor, das später den Beton in seiner vorgegeben Form stabil halten soll. Um Beton zu mischen stehen einige BrigadistInnen in einer langen Reihe. Eimer gefüllt mit Steinen, andere mit Sand und wieder andere mit Wasser und natürlich Zement werden zur Betonmischmaschine durchgereicht. Ich unterhalte mich mit einigen Frauen, die mit Schubkarren Sand von dem einen Ende der Baustelle auf die gegenüberliegende Seite transportieren. „Für mich ist sehr wichtig hier zu sein. Gerade weil diese Gesellschaft immer noch sehr männerdominiert ist, bedeutet diese Zusammenarbeit für mich Emanzipation und Freiheit. Deshalb bin ich hier“ berichtet mir eine der Frauen.

 

Wir diskutieren über Rollenbilder, Erwartungen an diese, Beziehungen, Geschlechtertrennung und ihre Kritik daran. Auch wenn wir uns als westeuropäische TeilnehmerInnen unserer eurozentristischen Perspektive bewusst sein wollen, gelingt es zugegebener Maßen nicht immer, diese aus dem Weg zu räumen und vollkommen vorurteilsfrei Diskussionen zu führen. Demzufolge ist es auch nicht verwunderlich, dass bei vielen Reflexionen über konkrete, wie dem hier angerissenen Problem einer patriarchalen Gesellschaft, oft nur die Individuen ins Blickfeld geraten und nicht die objektiven gesellschaftlichen Umstände und deren Historie. So zum Beispiel bei einem klassischen Thema wie dem der Kopftuchdebatte, obwohl nur ein geringer Teil der Festivalteilnehmerinnen tatsächlich Kopftuch trägt. Auch wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen Realität sind – nicht zuletzt schließlich auch in Europa, auch wenn auf eine andere Art und Weise – wird deutlich, dass es nicht eine Emanzipation, eine Freiheit, geschweige denn einen richtigen Weg dorthin gibt, sondern immer wieder Hintergründe und Zusammenhänge berücksichtig werden müssen.

Nach zwei Stunden Arbeit und gelegentlichen Diskussionen währenddessen, kommen einige jüngere Jugendliche und verteilen Kaffee, Wasser und Johannesbeersaft. Dazu kommen zwei alte Herren, Genossen aus dem Dorf, auf die Baustelle, begutachten die fast fertige Mauer, schütteln Hände und helfen große Sandsteine zwischen den Beton zu setzen. Die Stimmung ist entspannt, alle haben Spaß bei der doch recht ungewohnten Arbeit.

Nach dem Mittagessen gibt es endlich auch einen Workshop. Das Thema ist relativ unbekannt. Seit längerem plant die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die Westbank in verschiedene (Nutzungs-) Gebiete aufzuteilen: Vor allem in Wohngebiete, Ackerbau und Naturschutzgebiete, auf denen Anbau und Wohnen verboten ist. Für die Basisorganisation „Stop the Wall“ ist diese Kartographisierung der Westbank sehr kritisch, da es für sie ein weiteres Beispiel der Kooperation der PA mit dem israelischen Staat ist. Um dies näher zu erläutern, ist ein Aktivist der Kampagne, der sich schwerpunktmäßig mit diesem Kartographisierungvorhaben der PA auseinandersetzt, zum Festival gekommen.

Zu Beginn betont er, dass die Anzahl der israelischen SiedlerInnen in der Westbank bis zum Jahr 2017 um ein vielfaches erhöht werden soll. Um dies zu belegen, bringt er zwei Beispiele: Im Jahr 2012 stieg die Anzahl der genehmigten Siedlungseinheiten um 30% im Vergleich zum Vorjahr 2011. In der ersten Hälfte des Jahres 2013 stieg die Anzahl der Genehmigungen um satte 176% im Vergleich zum Jahr 2012. Die geplante massive Erhöhung der Zahl der SiedlerInnen ist deutlich zu erkennen. Die meisten Genehmigungen bekommen vor allem nach israelischem Recht illegale Außenposten, die von fundamentalistischen jüdischen SiedlerInnen errichtet wurden und nun von den Behörden genehmigt werden. Diese bislang illegalen Außenposten verbinden meist mehrere legale Siedlungen miteinander, sodass ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet entsteht, das einen sehr großen Teil der Westbank einnimmt. Der Referent zeigte eine Karte der Westbank, auf der das Ziel des neuen Siedlungsbaus deutlich zu sehen ist: Wie vertikale Finger ziehen sich die Siedlungen beginnend bei Israel im Westen quer durch die Westbank Richtung Jordanien. Die Westbank soll vertikal zerstückelt und somit militärisch noch besser kontrollierbar werden (Insgesamt mehr als 60.000 israelische SiedlerInnen sind bei der Armee als ausgebildete KämpferInnen gelistet).

Ausgerechnet in dieser Lage arbeitet die PA an einer wie oben näher beschriebenen Kartographisierung der Westbank. Die AktivistInnen von „Stop the Wall“ erläutern ihre Kritik daran in drei Punkten. Ursprünglich sollte diese Neueinteilung der Gebiete in der Westbank geheim geschehen, erst durch die Aufklärungsarbeit von „Stop the Wall“ konnten die Pläne aufgedeckt werden. Ihr erster Kritikpunk resultiert genau daraus; denn bei der Erarbeitung der Neueinteilung des Landes wurden die Zivilgesellschaft und die einzelnen Gemeinden nicht konsultiert, nicht nach ihrer Meinung gefragt, sondern die Ergebnisse einfach von oben herab festgelegt. Der zweite Punkt ist, dass diese Karte eine Souveränität der Westbank vorgaukelt, die die Realität der Siedlungen außer Acht lässt. Im Gegenteil, die Siedlungen werden, und dies ist ihr Hauptkritikpunkt, gegenüber palästinensischen Städten und Dörfern bevorzugt. So sind auf der Karte die meisten Naturschutzgebiete in der Westbank so angelegt, wie es Israel vorschlägt. Dies ist zum Vorteil der Siedlungen, da es dort keine offiziellen Naturschutzgebiete gibt und die Siedlungen immer weiter ausgebaut werden können, wie es auch jetzt schon geschieht. Um palästinensische Städte und Dörfer dagegen sind ganz viele geschützte Gebiete angelegt, die zusätzlich zur Apartheids-Mauer, die Entwicklung und Vergrößerung verhindern.

Zu dem Vortrag waren auch Fatah-Vertreter der Gemeinde Salfit, der nächsten größeren Stadt nahe Farkha gekommen, die von den Plänen der Fatah-kontrollierten PA verwirrt sind, da sie nicht wissen, ob sie zum Vorteil oder Nachteil der Stadt sind. Sie forderten vom Referenten detaillierte Karten der geplanten Kartographisierung, die es allerdings nicht gibt, da diese nicht im Detail existieren und nur eine Kartengenauigkeit von 60-70% besteht. Somit sind die Pläne für eine tatsächliche Umsetzung ziemlich ungeeignet und zum Nachteil der palästinensischen Ansiedlungen.  Interessant ist hier, wie schon im ersten Artikel zum Festival geschrieben, dass die Fatah-Regierung von vielen Menschen vor Ort der Kollaboration mit dem israelischen Staat bezichtigt wird. Wie lange sie noch so weiter machen kann, ohne das es zur Explosion kommt, ist fraglich. Das es aber zur Explosion kommen wird, ist für die GenossInnen sicher. Die Frage ist nur, in welche Richtung die Entwicklung dann gehen wird, da auch die linken Kräfte zum Teil diskreditiert sind.

Der heutige Dienstag, der 13. August, ist gleichzeitig dem im März 2013 verstorbenen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chavez Frias gewidmet. Für ihn und seinen Vordenker und Vorbild Simon Bolivar wird heute ein Garten in Farkha angelegt. Bereits am Nachmittag erscheint dafür extra der venezolanische Botschafter Luis Hernandez aus Ramallah (siehe Interview). Er ist jung, schwarz und seine legere Kleidung, - er trägt erst ein rotes Freizeithemd, dann ein weißes Chavez-Tshirt -, sind ein Zeichen für die Errungenschaften der bolivarische Revolution:  ein schwarzer Botschafter aus einem lateinamerikanischen Land. Dies wäre früher undenkbar gewesen. Auch sein Auftreten widerspricht positiv allen Regeln des diplomatischen Protokolls. Bei seiner Ankunft packt er sofort auf der Baustelle mit an und hilft uns beim Vergrößern einer Bühne für die Schule. Genossen berichten, dass er ein äußerst gutes Verhältnis zur PPP habe. Nachdem er mit uns, über und über mit Schlamm und Steinstaub bedeckt, zu Mittag gegessen hat, fährt er zurück nach Ramallah um sich umzuziehen und seine Familie, bestehend aus seiner Frau und drei Jungs, zu holen. Am frühen Abend kommen sie wieder und wir legen gemeinsam den Simon Bolivar Garten an. Dort weht ein frischer Wind und die Fahnen der PPP, Venezuelas und Palästinas flattern wie wild hin und her – ein wirklich ergreifender Moment.
 
Bei der anschließenden Veranstaltung betont Hernandez in seiner Rede, dass das venezolanische und das palästinensische Volk immer für Frieden und die Freundschaft der Völker arbeiten würden. Trotz der geographischen Distanz zwischen den beiden Ländern, würde für beide Seiten der Einsatz für die Armen und Unterdrückten im Mittelpunkt stehen. Ein Ausdruck der mit Palästina und auch der PPP. Der Botschafter betont, dass er den Tag, an dem das palästinensische Volk seine Freiheit erlange, kaum erwarten könne. Im Anschluss daran feierten wir mit einem extra produzierten Video und einer kurzen Rede den 87. Geburtstag des Comandante en Jefe, Fidel Castro. Auch von hier noch mal alles Gute nach Kuba!

Insgesamt ist heute noch so viel anderes passiert, unter anderem gab es am Nachmittag auch noch ein Kinderfestival mit allen Kindern aus dem Dorf, die am Schluss Süßigkeiten, Stifte und Chavez-T-shirts bekommen haben und den Botschafter bei seiner Ankunft mit einem lauten „Viva Chavez“ begrüßt haben. Da ich jetzt aber müde bin und ich nicht nur vor dem Laptop sitzen will, lasse ich die Bilder für sich sprechen und schließe für heute ab.

Dieser Artikel wurde von mehreren TeilnehmerInnen des Festivals geschrieben.

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