Der Kommentar

dobrindt maut blu newsKommentar von Volker Metzroth

14.10.2014: Kopfsteuern, die den Milliardär in gleicher Höhe belasten wie den Rentner mit Grundsicherung, waren schon immer der Traum aller Neoliberalen. Die Thatcheristen in England wollten so die Kommunen finanzieren, eine kaum noch bekannte deutsche Partei mit drei Pünktchen stellte sich so bei uns die Krankenkassenbeiträge vor. Durchgesetzt, wenn auch haushaltsbezogen, ist sie in Deutschland bis dato mit dem Rundfunkbeitrag, der für alle gleich hoch ist, unabhängig vom Einkommen, auch für jene, die nie in irgendeiner ersten Reihe vor der Glotze sitzen. Was dem SPD-Beck als damaligem Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder recht war, ist dem CSU-Dobrindt als Verkehrsminister billig. Er will seine Pkw-bezogene „Kopfsteuer“, eine Maut auf allen Straßen.


Ist die mal da, kann man künftig an der Preisschraube drehen, wenn Steuergeschenke für Reiche oder die Rettung der Spekulationsgewinne von Bankstern und Zockern gegenfinanziert werden müssen. Schließlich begann die ganze Zuzahlerei im Gesundheitswesen 1973 auch mal mit 50 Pfennig Rezeptgebühr, dem damaligen Äquivalent von einem Liter Normalbenzin. Schon vergessen oder noch nie gewusst?

Warum fegt nicht ein Proteststurm den Dobrindt samt seinen Mautplänen weg? Bei der Frage erinnerte ich mich an eine Passage in Peter Mertens' Bestseller „Wie können sie es wagen?“ über den von rechten Kräften und der Bourgeoisie in Belgien geschürten Nationalismus, mit dem Pläne zur Spaltung des Landes in einen wallonischen und einen flämischen Staat vorangetrieben werden sollen. Sprachliche Benachteiligungen der Flamen sind seit über 50 Jahren beseitigt, sie stellen mittlerweile die Mehrheit im Land und sind auch, nach dem Niedergang der wallonischen Montanindustrie, wirtschaftlich besser gestellt als die Wallonen. Dennoch gelingt es Nationalisten ihnen zu vermitteln, die Flamen seien in jeder Hinsicht benachteiligt und es ginge ihnen ohne die Wallonen viel besser. „Die Flamen“ sind wie „die Deutschen“ in Gewinner und Opfer der Krise gespalten. Praktisch für die Reichen ist es, wenn der flämische Erwerbslose ob seiner Situation sauer auf den wallonischen Erwerbslosen ist, statt auf seine Bosse und deren politisches Personal.

Ähnlich ist es doch in Deutschland, der stärksten Wirtschaftsmacht der EU, die mit ihrer mit lohn- und sozialdumpinggeschmierten Exportwalze etliche Länder überrollte. Wie weiland die Schuldigen am I. Weltkrieg Deutschlands Platz im Schatten statt an der Sonne gesehen haben wollten, so wähnen Nationalisten es heute als größten Nettozahler der EU über den Tisch gezogen oder fabulieren davon, daß das Land nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen könne. Daß ein Land wie der Libanon pro vier Einwohner einen Flüchtling aus Syrien aufnahm und Deutschland noch nicht einen pro Tausend, rüttelt nicht an dem unterschwellig vermittelten Bild, fast alle Flüchtlinge der Welt kämen zu uns und fräßen uns die Haare vom Kopf.

Ja, und dann das Allerschlimmste: während alle Ausländer - da sind es dann nicht mehr unsere EU-Mitbürger – umsonst auf unseren teuren Autobahnen fahren dürfen, müssen wir alle für jeden Kilometer bei denen berappen. So ungerecht ist der Rest der Welt wieder mal zu den Deutschen. Das schreit nach Gerechtigkeit. Und gerecht ist nur, wenn es allen gleich schlecht geht, außer natürlich den Reichen im Land. So weit der Stammtisch oder der CSU-Ortsverein und einige andere mehr.

Politiker, die uns sonst die EU der Konzerne als große Völkerfamilie schmackhaft machen wollen, entdecken in Sachen Maut plötzlich, dass der Rest der Familie doch nur aus schmarotzenden Ausländern besteht, die man zur Kasse bitten muss. Dabei soll das Ganze durch Senkung der Kfz-Steuer für Inländer kostenneutral bleiben. Im ersten Schritt vielleicht, denn: siehe das oben unter dem Stichwort Rezeptgebühr geschriebene.

Das Geschrei wird aber auch jenseits der Grenzen gehört und zu Reaktionen führen, können deutsche Autofahrer doch bislang z.B. in den Benelux-Staaten auf allen Straßen ohne Maut fahren, bei anderen Nachbarn auf einigen Autobahnen und allen sonstigen Straßen. Am Ende zahlen dann alle überall Maut, was den Porschefahrer und den Fahrer einer A-Klasse als Drittwagen wahrscheinlich wenig juckt, aber z.B. jene Rheinland-Pfälzer, die in Luxemburg arbeiten und mit dem Mittelklassewagen dort hin fahren. Die müssen dann hibdebach wie dribdebach* Maut zahlen. Aussagen, wie die, nur Fahrten auf Autobahnen und Bundesstraßen belasten zu wollen, sind lächerlich. Ich komme z.B. von meinem Wohnort ohne Bundesstraßen noch nicht mal über Feld- und Waldwege legal in eine der drei umliegenden Gemeinden mit Lebensmittelgeschäften, die es vor Ort längst nicht mehr gibt.

Ich empfand mich durch die Maut in meinen Reiseländern nie ungerecht behandelt. Sie war ja nicht nur von mir als Ausländer zu bezahlen, auch die Einheimischen wurden zur Kasse gebeten, und das bei oft geringerem Einkommen als dem meinen. Ich erlebte auch nie, daß z.B. ein Vermieter im Süden von mir 50 statt 20 Mark für ein Zimmer wollte, da er ja auch 50 bezahlen müßte, logierte er mal in Alemannia. 100 Mark für einen Restaurantbesuch zu dritt verlangte keiner aus Gründen angeblicher Gerechtigkeit, weil der ihn in Deutschland bei seiner möglichen Reise auch so viel kosten würde, statt der 40 Mark in meinem Urlaubsland. Waren das noch Preise!

Allerdings sind „wir Deutschen“ gebeutelt, zumindest mal jene 90 Prozent, die von eigener Arbeit leben müssen, inklusive des Nachwuchses und der Alten, aber auch der Erwerbslosen, denen man gute Arbeit von der man leben kann verweigert. In Ballungsgebieten wird für viele die Miete unbezahlbar, viele müssen sich mit Niedriglöhnen über Wasser halten, immer mehr muß bei Krankheit zugezahlt werden, Strompreise steigen etc. Das sind aber in einem reichen Land Verteilungsprobleme. Eine Maut für Ausländer änderte daran nichts, das Thema lenkt aber so schön von jenen 10% „Oberschicht“ ab, die fast den gesamten jährlich zusätzlich erarbeiteten Reichtum an sich reißen. Da geht auch das Geld hin, was für die marode Infrastruktur gebraucht würde, nicht nur für Straßen und Brücken, und für Schulen, Kitas etc. Erstere sind auch deshalb marode, weil die großen Konzerne ihre Lagerhaltung immer mehr auf die Straßen verlegt haben. Man muß sich doch verarscht fühlen, wenn zeitgleich mit der geplanten Einführung einer Pkw-Maut die Lkw-Maut gesenkt wird, um 461 Millionen Euro in den beiden nächsten Jahren. Letztendlich sollen hier – wie bei der EEG-Abgabe – die Kleinen mal wieder die Großen subventionieren.

Nein, die Ungerechtigkeit liegt nicht darin, daß in einigen Ländern eine Autobahnmaut erhoben wird und in anderen nicht. Sie liegt im Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Erarbeitung und privater Aneignung großer Teile des Reichtums in diesem Land und in anderen, sie liegt in der Armut vieler Arbeitenden trotz Vollzeitarbeit und dem Reichtum einiger, die ohne entsprechende eigene Leistung Hunderttausende oder gar Millionen Euro per annum einstreichen. Hier gegenzusteuern, durch eine Millionärssteuer, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine hohe Besteuerung von Millionen- und Milliardenerbschaften steht auf der Tagesordnung.

Lassen wir uns davon nicht ablenken durch dummes Gerede von Neoliberalen und Nationalisten und von den Mautplänen einer Partei die wohl Angst hat, irgendwann den Weg derer mit den drei Pünktchen gehen zu müssen. Und nicht durch jene, die vor nichts mehr Angst haben, als daß wir uns Gedanken über eine gesellschaftliche Ordnung machen, in der die Wirtschaft den Menschen dient und nicht umgekehrt.

Text: Volker Metzroth    Foto: blu-news

* Redewendung: Im Frankfurter Dialekt nennt man Sachsenhausen, die Heimat der traditionellen Apfelweinkneipen, auch „Dribb de Bach“, also „drüben vom Bach“, auf der anderen Mainseite (das arme Frankfurt). „Hibb de Bach“ heißt „hüben vom Bach“, also auf der nördlichen Seite des Mains (das reiche Frankfurt).

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands, die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

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Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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