Deutschland

alt02.02.2014: Die diesjährige Sicherheitskonferenz wurde von der Bundesregierung genutzt, um ihren neuen außen- und militärpolitischen Kurs vorzustellen; massiv unterstützt von Bundespräsident Joachim Gauck. Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin erklärten in ihren Reden unisono, dass Deutschland künftig eine aktivere Rolle im internationalen Krisenmanagement einnehmen und bei Militäreinsätzen nicht abseitsstehen werde. Unter die "Kultur der militärischen Zurückhaltung" (der frühere Außenminister Guido Westerwelle) wird ein Schlussstrich gezogen. Diese Neuausrichtung stößt aber – wie aktuelle Meinungsumfragen belegen - bei großen Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. Die Skepsis der Öffentlichkeit – nicht nur der deutschen, auch der in anderen europäischen Staaten oder in den USA – gegenüber militärischen Interventionen ist ausgeprägt.

Bereits vor Beginn der Sicherheitskonferenz hatte sich deren Organisator Wolfgang Ischinger für eine aktivere Rolle der Bundeswehr bei Militäreinsätzen ausgesprochen. Es gehe um "Frieden schaffen – mit Waffen". Ischinger: "Humanitäre Motive sind wichtig, reichen für die Entsendung von Soldaten aber nicht aus. Wir brauchen eine klar definierte Strategie, Deutschland und die EU müssen ihre sicherheitspolitische Interessen und Prioritäten definieren." (siehe auch Sicherheitskonferenz: "Mit Waffen Frieden schaffen") Ischinger verwies darauf, dass Deutschland mit einem verstärkten militärischen Engagement den Wünschen der US-Regierung und der europäischen Nachbarn nachkommen würde. "Unsere Partner erwarten das", sagte er. "Und wir müssen dafür sorgen, dass wir die notwendige politische und übrigens auch gesellschaftliche Basis dafür in Deutschland schaffen."

Dieser Aufgabe – eine gesellschaftliche Basis für vermehrte Kriegseinsätze zu schaffen - widmet sich Bundespräsident Joachim Gauck. "Es spricht für Gaucks Mut, dass er dabei das abgewetzte Wort von der 'Kultur der (militärischen) Zurückhaltung', das immer mehr zum Vorwand für Nichtstun geworden ist, regelrecht dekonstruiert hat", freut sich ein Günther Nonnenmacher in der Frankfurter Zeitung (Günther Nonnenmacher, FAZ, 31.1.2014)

Bundespräsident Joachim Gauck hatte in seiner Rede die deutsche Drückebergerei und falsch verstandenen Pazifismus angeprangert und forderte in seiner Rede "über die Rolle Deutschlands in der Welt" ein Ende der Zurückhaltung und ein verstärktes internationales Engagement Deutschlands in der Welt.

Die Bundesrepublik sollte sich "früher, entschiedener und substanzieller einbringen", verlangte er. Die bisherige Zurückhaltung sei nicht mehr angemessen, Deutschland könne nicht weitermachen wie bisher, vor allem sei die deutsche Vergangenheit keine Entschuldigung für Nichtstun. Das Land profitiere mehr als andere von der Globalisierung und müsse deshalb auch seinen Beitrag zur Lösung internationaler Konflikte leisten.

Er bekräftigte das "Bündnis mit den Vereinigten Staaten als Grundpfeiler" und fügte hinzu: "Und gerade wenn die Vereinigten Staaten nicht ständig mehr leisten können, müssen Deutschland und seine europäischen Partner für ihre Sicherheit zunehmend selbst verantwortlich sein".

"die Rolle Deutschlands in der Welt … das globale Ordnungsmodell erhalten"

altDeutschland stehe "für einen Sicherheitsbegriff, der wertebasiert ist", sagte Gauck und erklärte diese Werte: "Im außenpolitischen Vokabular der Republik reimt sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand." Dass dieser Wohlstand u.a. wegen des Freihandels sehr ungleich verteilt ist, darauf ging der Bundespräsident nicht ein. Stattdessen bekräftigte er, dass es "Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert" sei, "dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen". Auch mit dem Mittel des Krieges. Da darf nach Gauck dann auch das Völkerrecht nicht im Wege stehen: "Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Hier setzt das 'Konzept der Schutzverantwortung' an", die eben auch Deutschland übernehmen müsse.

Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen griff in ihrer Rede den Ball auf und legte nach. Wie vor ihr bereits der Bundespräsident setzte sich auch die neue Verteidigungsministerin für eine verstärkte Rolle Deutschlands im internationalen Krisenmanagement ein. "Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht", sagte sie. Deutschland werde bei Militäreinsätzen nicht abseitsstehen. Den Blick richtet sie hierbei neben Afghanistan vor allem auf den afrikanischen Kontinent (s. Anm. am Schluss).

Sie stellt deutsche Unterstützung für die geplante EU-Mission in der Zentralafrikanischen Republik in Aussicht. Zudem sei die Bundesregierung bereit, das militärische Engagement der Bundeswehr im westafrikanischen Mali zu verstärken. Es gehe darum, "sowohl NATO als auch die EU zu stärken". Denn "Deutschland ist stark in Europa, aber vor allem ist Deutschland stark durch Europa und durch die NATO".

altZu Beginn des zweiten Konferenztages – im Münchener Stadtzentrum versammelten sich gerade die ersten DemonstrantInnen gegen die Sicherheitskonferenz – forderte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede ein stärkeres sicherheitspolitisches Engagement Deutschlands. "Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen", sagte er. Beim Einsatz von Militär sei zwar "Zurückhaltung geboten", um aber gleich hinzu zu setzen: "Allerdings darf eine Kultur der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden. Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren."

Steinmeier kündigte an, Deutschland werde "Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik". Denn nur "wenn wir unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen, im Süden wie im Osten, wird Europas Außenpolitik mehr sein als die Summe vieler kleiner Teile". Zugleich bekannte er sich klar zum Bündnis mit den USA. Die Nato bleibe "unverzichtbare Rückversicherung in einer unruhigen Welt. Keine Frage: Europa und Amerika sind füreinander die engsten wirtschaftlichen und politischen Partner".

Wie bereits sein US-Kollege John Kerry bei seiner Kurzvisite in Berlin erklärt hatte, ist auch für den deutschen Außenminister das Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP "eine große Chance von strategischer Dimension". Besorgt zeigt er sich über die Folgen der NSA-Abhör- und Spionageaktivitäten: "Der Vertrauensverlust vieler Deutscher in die Partnerschaft mit den USA kann uns nicht gleichgültig lassen. Er wird nicht von selbst heilen. ... Unseren Kreis hier muss ich von der Bedeutung der transatlantischen Freundschaft nicht überzeugen – aber eine jüngere Generation muss für sie erst neu gewonnen werden. Das ist auch unsere Aufgabe – und unsere Verantwortung."

Eine "starkes Europa" und ein "engagiertes Amerika" - gemeinsam gegen den Rest der Welt

Später am Tag zeigten sich auch US-Außenminister John Kerry und US-Verteidigungsminister Chuck Hagel als überzeugte Transatlantiker. Die Beziehung zwischen den beiden Kontinenten sei „Teil unserer Gene“, so Kerry. Die beiden Minister zerstreuten Befürchtungen der anwesenden KonferenzteilnehmerInnen, dass sich die Obama-Regierung von der traditionellen Führungsrolle der USA zurückziehen oder ihr Engagement gegenüber Europa abschwächen könnte. Gleichwohl monierten sie einen Mangel an wirklichem Führungswillen auf europäischer Seite. Denn dazu gehöre auch, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Aber im Unterschied zu früheren »Strafpredigten«, drangsalierten Kerry und Hagel die europäischen Offiziellen nicht mit der simplen Forderung mehr Geld für Rüstung auszugeben und mehr Soldaten in die Krisengebiete rund um den Globus zu schicken. Da es Kerry und Hagel offensichtlich darum ging, verlorengegangenes Vertrauen in die USA zurückzugewinnen, appellierten sie mit ungewohnter Sensibilität an die Europäer zur Zusammenarbeit, um gemeinsam die Entwicklung in Syrien, Iran und Afghanistan zu beeinflussen. Der Wohlstand und die Sicherheit der USA und Europas sei so untrennbar miteinander verbunden und von gegenseitiger Abhängigkeit, dass die Herausforderungen in "Afghanistan, Zentralafrika, im Maghreb, im Mittelmeerraum, durch die Demokratische Volksrepublik Korea, globale Herausforderungen wie Internetsicherheit, ansteckende Krankheiten oder das Streben nach einer Welt ohne Atomwaffen" gemeinsam bearbeitet werden müssten.

Kerry erinnerte daran, dass die „Aufgabe, ein Europa zu bilden, das ein Ganzes und frei ist“, noch nicht vollendet sei. Und nirgendwo sonst sei der "Kampf um die Zukunft eines demokratischen Europas wichtiger als in der Ukraine". Um den „heutigen Herausforderungen begegnen zu können, braucht Amerika ein starkes Europa, und Europa braucht ein verpflichtetes und engagiertes Amerika“, sagte er. „Das bedeutet, sich nur um sich selbst zu kümmern, ist für keinen von uns eine Option. Wenn wir gemeinsam führen, dann werden uns andere folgen.“ Er rief auf, das Jahr 2014 zu einem Jahr der “transatlantischen Renaissance“ zu machen. (Reden von Kerry und Hagel)

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy war ebenfalls der Auffassung, dass im Bereich der gemeinsamen Verteidigungspolitik noch mehr getan werden müsse. Er zeigte sich aber optimistisch, dass das Jahr 2014 hier wichtige Fortschritte mit sich bringen werde. Zwar seien grundsätzlich diplomatische Lösungen zu bevorzugen, aber Europa sei auch bereit, Militär einzusetzen. Wie Steinmeier und Hagel plädierte er für das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA: Es werde ein über den wirtschaftlichen Bereich hinausgehendes wichtiges politisches Signal für eine starke Kooperation senden.

Widerstand gegen die Kriegspolitik entwickeln

Die Münchner Sicherheitskonferenz diente mit mächtigem Medientamtam als Bühne für eine Verabredung von Bundesregierung und Bundespräsident gegen die Parlamentsrechte. Es wird höchste Zeit, den Bundespräsidenten daran zu erinnern, dass Deutschland eine parlamentarische und keine präsidiale Demokratie ist", erklärt Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, zu den Versuchen von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, gemeinsam eine neue Ausrichtung der deutschen Außenpolitik vorzunehmen. "Am Bundestag vorbei und gegen die große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit propagiert diese Dreifaltigkeit, dass Schluss sein soll mit der Politik der Zurückhaltung, Schluss mit den Vorbehalten gegen Militäreinsätze, dass Deutschland wer sei in der Welt."

Gehrcke weiter: "Zurückhaltung wird zum Wegschauen umgefälscht und der Widerstand der Öffentlichkeit gegen Bundeswehreinsätze als längst überholt diffamiert. Für Bundespräsident Gauck sind die Lehren aus der Geschichte, die historisch die deutsche Zurückhaltung begründen, erledigt, weil das heutige Deutschland das ‚beste Deutschland ist, das es je gab‘. Verteidigungsministerin von der Leyen will nicht abwarten, sondern die Bundeswehr präventiv einsetzen, auch und besonders in den Krisen und Konflikten im Nahen Osten und in Afrika. Außenminister Steinmeier meint auch, ‚Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.‘ Die Botschaft ist klar: Der deutsche Anspruch auf Weltgeltung in der Außenpolitik liegt auf dem Tisch.

altBettina Jürgensen, Mitherausgeberin von kommunisten.de, meint, dass jetzt der außerparlamentarische Protest gegen den militärpolitischen Kurs der Großen Koalition organisiert werden muss. Die Arbeit für "breite Bündnisse aller friedliebenden Kräfte" stehe jetzt auf der Tagesordnung, sagt sie. Jürgensen: "Der Protest gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr bringt die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung zum Ausdruck. Nach einer ganz aktuellen Umfrage sprechen sich 66 Prozent der Bevölkerung gegen eine Ausweitung von Auslandseinsätzen aus. Und jetzt soll Gauck die Meinung drehen. Das müssen wir verhindern. Die Kriegstreiber dürfen für ihre Politik keine Zustimmung finden."

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Anm.: peinlicher Schreibfehler im Redetext der Verteidigungsministerin: "die immer noch bedrückende Lage in Lybien". Möglicherweise suchen sie und ihre MitarbeiterInnen auf dem Globus verzweifelt dieses 'Lybien'. Wo sollen sie denn die Bundeswehr hinschicken, wenn sie auf den Landkarten immer nur 'Libyen' finden?

siehe auch

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Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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