Europa

alt21.09.2013: Drei Jahre nach den Parlamentswahlen von 2010 hat die politische Lage in der Tschechischen Republik ein Stadium grundlegender Veränderungen erreicht. Die herrschende Koalition (der rechtsgerichteten Parteien der ODS, der TOP-09 und der 'Öffentliche Angelegenheiten') haben nicht nur stetig das Vertrauen der allgemeinen Öffentlichkeit verloren, was sich in ihren negativen Bewertungen gegenüber der Koalition von 85 und 90 Prozent ausdrückte, sondern sie hat sich auch von innen her aufgelöst. Als Konsequenz einer gewaltigen Korruptionsaffaire im engsten Kreis um unseren Premierminister Petr Necas musste seine Regierung am 16. Juni dieses Jahres zurücktreten.

Am 23. Juni beauftragte Staatspräsident Miloš Zeman den gut bekannten Ökonomen Jiri Rusnok, ehemaliger Minister in Regierungen der Sozialdemokraten (u.a. Finanzminister und Mitglied der Sozialdemokratie zwischen 1998 und 2010) um eine sogenannte Übergangsregierung zu bilden.

Präsident Zeman ernannte die Regierung Rusnoks am 10. Juli. Die rechtsgerichteten Parteien protestierten vehement gegen das Vorgehen des Präsidenten und beschuldigten ihn der Verletzung des "Geistes der Verfassung", indem sie mit der sogenannten "101-Mehrheit" in der Abgeordnetenkammer (das Unterhaus des tschechischen Parlaments) argumentierten. Sie behaupteten, dass diese 101 Stimmen ihnen ausreichend Recht für die eigene Bestimmung einer neuen Regierung gäben, und dass so eine von ihnen bestimmte Regierung im Abgeordnetenhaus des tschechischen Parlaments auch diese Mehrheit bekommen würde.

In der Parlamentssitzung am 7. August wurde jedoch kein Versuch einer Vertrauensabstimmung für die Übergangsregierung gemacht. Diese Regierung wurde also überhaupt nicht bestätigt. Aber zur gleichen Zeit zeigte sich ebenfalls, dass es keine gegnerische "101-Mehrheit" unter den 200 Abgeordneten gab. Die Entwicklung begann endgültig, in Richtung von vorgezogenen Neuwahlen voran zu schreiten.

Nach Einschätzungen von Experten können einige wesentliche Veränderungen in der gegenwärtigen politischen Szene Tschechiens erwartet werden. Ganz allgemein wird eine Stärkung der Linken erwartet, entsprechend den größeren Zahlen der Wählerstimmen sowohl für die Sozialdemokraten, als auch die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM). Dem gegenüber dürften die rechtsgerichteten Parteien bedeutende Verluste erleiden, obwohl damit zu rechnen ist, dass die TOP-09 der Ex-Minister Karel Schwarzenberg (Außenpolitik) und Miroslav Kalousek (Finanzen) einen Teil der Stimmen der ODS (Demokratische Bürgerpartei) an sich ziehen wird.

Einige Parteien werden wohl aus der Abgeordnetenkammer ausscheiden (die 'Öffentliche Angelegenheiten' und die LIDEM) und andere werden zurückkehren (Christdemokraten) oder ganz neu und erstmals in Parlament kommen. So etwa die Präsident Zeman nahe stehende SPOZ oder die ANO-Bewegung des Milliardärs Andrej Babiš sowie die kleineren Parteien oder Bewegungen wie die Suverenita-Partei (Souveränität) des früheren Parlamentsmitglieds Jana Bobošíková, die Partei LEV-21 des früheren Ministerpräsidenten Ji?í Paroubek oder die Úsvit-Bewegung (Bewegung von unten) eines Unternehmers und des Senatsmitglieds Tomio Okamura.

Auf seiner außerordentlichen Sitzung am 20. August hat das Unterhaus sich wie erwartet aufgelöst. Von 174 anwesenden Abgeordneten stimmten 140 dafür. Von Anfang an hat die KSCM vorgezogene Neuwahlen befürwortet, welche sie als die einzig mögliche, richtige und klare Lösung der derzeitigen politischen Krise ansah. Diese Krise würde sonst das politische Leben im Lande lähmen und sich dann auch in der Wirtschaft, im internationalen Ansahen und im sozialen Klima im Allgemeinen niederschlagen.

Der Vorsitzende des ZK der KSCM, Genosse Vojt?ch Filip, stellte fest, dass "das Parlament der tschechischen politischen Szene überlassen habe, ihm neue Macht und neue Glaubwürdigkeit zu geben". Er fügte hinzu: "Das wird durch die Erteilung einer neuen Legitimität durch die Bürger errungen werden und es würde zweckmäßig sein". Die KSCM ist auf die Wahlen vorbereitet. In der Partei hat es bereits Vorwahlen gegeben, die Listen der Kandidaten wie auch die Wahlprogramme sind erstellt.

Vor einer Woche deutete Präsident Miloš Zeman nach Angaben der kommunistischen Tageszeitung Halo Noviny an, dass er bei einer Auflösung des Unterhauses das Datum der Neuwahlen aufschieben und voraussichtlich für den 25./26. Oktober 2013 festlegen würde. In diesem Fall muss die Partei ihre Kandidatenliste bis zum 17. September vorlegen, damit die Kandidaten durch die regionalen Verwaltungen spätestens 25 Tage vor der Wahl registriert werden können, was dann Ende September der Fall wäre. Am Donnerstag, den 22. August, fand ein Treffen des Exekutivkomitees der KSCM dazu statt, und nachfolgend eine Sitzung des ZKs der KSCM.

Präsident Miloš Zeman hatte dann das Parlament am 28. August offiziell aufgelöst und kündigte die Abhaltung vorgezogener Parlamentswahlen für den 25./26. Oktober an.

Es gab einige Spekulationen über eine mögliche Kandidatur des früheren Präsidenten Vaclav Klaus, für die sich Jana Bobosikova, die Vorsitzende der Souveränitäts-Partei und einige Parlamentsabgeordnete verwendeten, welche aus der Demokratischen Bürgerpartei ausgetreten waren. Jedoch wurden diese Spekulationen nicht wirksam. Er könnte jedoch, was wahrscheinlicher ist, die Kandidatenliste der Euroskeptiker bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 2014 anführen.

Die KSCM begann ihre Wahlkampagne am 7. September auf einem Einwohnertreffen unter dem Schloss Kuneticka Hora nahe der Stadt Pardubice in Ostböhmen. Dort wurden einige Kandidaten vorgestellt, welche erste Wahlkampfdiskussionen unter den Einwohnern führten. Derzeit kommt die KSCM mit zwei starken Programmpunkten – die Forderung nach einem Referendum über die Gültigkeit der Rückgabe des Kirchenbesitzes und die Verabschiedung des Gesetz über Offenlegungsberichte der Finanzen, mit dem die Herkunft des Reichtums der Reichen überprüft werden soll. Die KSCM stellt insgesamt 343 Kandidaten in allen 14 Regionen des Landes auf, was ein volles Ausschöpfen der Kandidaturen nach dem Gesetz bedeutet.

Was die Lage im Lande betrifft, so gibt die wirtschaftliche Entwicklung in der Tschechischen Republik keinen Grund zu Optimismus.

  • Die Wirtschaft befindet sich weiter in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit sinkt nicht (zur Zeit etwa 7,5%) und man erwartet eher ihr Anwachsen, die Inflation steigt.
  • Für ein Ansteigen der Arbeitslosenquote gibt es einige beunruhigende Anzeichen aus dem am höchsten industrialisierten Gebiet der Tschechischen Republik – der Region um Ostrava – wo die Bergleute des Kohlegebiets Ostrava-Karvina für den 17. September zu Protestkundgebungen gegen Lohnkürzungen, Entlassungen und die Schließung von Kohlenzechen aufriefen. Diese Proteste wurden von anderen Gewerkschaften und von den Bewohnern der Region unterstützt, weil solche Entwicklungen eine Lawine in benachbarten Wirtschafts- und Dienstleistungsbereichen lostreten können.
  • Die Lebenshaltungskosten der Bürger steigen beträchtlich, vor allem solche, die mit dem Wohnen verbunden sind (Mieten, Energie, Heizung, Wasser – letzteres im Vergleich mit dem Juli 2012 um 7%), aber auch die Kosten auf Grund höherer Preise für Nahrung, Beförderung, medizinische Versorgung, Postdienste, Grundschulausbildung und ebenso für die mittlere und höhere Bildung der Kinder, usw.. Die Gesamtzahl der Haushalt, die am Rande der Armut leben, nimmt in der Tschechischen Republik stetig zu. Sowohl den Einpersonen-Familien mit Kindern, als auch den Rentnern geht es am schlechtesten.
  • Das Schuljahr 2013/2014 begann in Tschechien am 1. September. Es ist durch eine im Vergleich mit dem Vorjahr größere Zahl von Schulkindern gekennzeichnet, jedoch auch durch die gewachsenen Kosten der Haushalte für die Schulkinder. Außer einigen kleineren Dingen müssen alle Schulmittel durch die Familien der Schüler getragen werden. Der Eintritt eines Kinds in die erste Klasse der Grundschule kostet rund ein Drittel des monatlichen Durchschnittseinkommens einer Familie.
    Es zeigt sich zudem ein Mangel an Lehrern; ihre Gesamtzahl wurde allmählich während der Sparmaßnahmen des Staates entsprechend dem Rückgang der Gesamtzahl der Schulkinder seit der Einführung des Kapitalismus in der Tschechischen Republik verringert – obwohl die fortwährend herrschenden (rechtsgerichteten) Führungen versprochen hatten, die absolute Zahl der Lehrer aufrecht zu halten und die Qualität der Ausbildung zu erhöhen.
  • Es wird in der Tschechischen Republik zunehmend schwierig, einen Platz für ein Kind in einer Krippe zu finden. Mehr als 39.000 Anträge zur derartigen Betreuung eines Kindes wurden 2010 abgelehnt, 49.000 waren es 2012 und 59.000 in diesem Jahr.
  • Eine Welle von Bankrotten von kleineren Bäckereien geht über die Tschechische Republik. Dies ist insbesondere eine Auswirkung von billigen Bäckereien, die tiefgefrorene backfertige Nahrung aus dem Ausland importieren, welche in den Werken der großen transnationalen Ketten erzeugt werden. Derzeit betreiben etwa 750 solcher Großbäckereien dieses Geschäft, fast alle davon in Privatbesitz.

Negative Stimmungen in der Gesellschaft zeigen sich im Anstieg verschiedener Formen der Kriminalität und extremistischer Äußerungen. Anti-Roma Stimmungen verstärken sich, sie sind ein fruchtbarer Boden für verschiedene radikale Bewegungen, die neofaschistischen eingeschlossen. In fünf bedeutenden tschechischen Städten wurden Demonstrationen und Kundgebungen gegen Roma durchgeführt. Am 8. August ging die größte davon in schwere mehrstündige Zusammenstöße zwischen den Extremisten und der Polizei über.

Die jüngsten Entwicklungen in Tschechien haben das Vertrauen der allgemeinen Öffentlichkeit in die politischen Parteien geschwächt; dies zu heilen sollte eine der ersten Prioritäten einer jeden neuen Führung nach den vorgezogenen Neuwahlen sein. Schließlich ist das soziale Ansehen der Abgeordneten in jeder Meinungsumfrage der letzten Zeit auf den letzten möglichen Platz gesunken.

Text: Vladimir Sedlacek, Karel Klimsa  /  Foto: KSCM

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