Literatur und Kunst

gingold_dvd_label_30001.12.2012: Interview mit dem Regisseur Mathias Meyers aus Mainz über seinen Film über die bekannten Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold. Der Dokumentarflim “Zeit für Zeugen – Eine Hommage an Ettie und Peter Gingold” erinnert an das Lebenswerk von Ettie und Peter Gingold, die beide als junge Erwachsene während der Okkupation des faschistischen Deutschland in der französischen Widerstandsbewegung Résistance kämpften. Sie leisteten entschiedenen Widerstand unter Einsatz ihres Lebens, waren 1944 an der Befreiung von Paris beteiligt und blieben ihr Leben lang als Kommunisten und Antifaschisten in der BRD aktiv im Einsatz für eine freie und demokratische Gesellschaft. Insbesondere engagierten sie sich gegen jede Tendenz von neuem Faschismus, Antisemitismus und Rassismus. Als Zeitzeugen traten sie vor Schulklassen, Jugendgruppen und auf Demonstrationen und Kundgebungen auf. Der Film beinhaltet Interviews mit den Gingolds, historische Aufnahmen sowie Interviews mit 24 Weggefährten.

Frage: Wie ist der Film eigentlich entstanden?

Mathias Meyers: Ein Film von Loretta Walz über die Überlebende des Frauen-KZ Ravensbrück, Hildegard Schäfer, hat den Titel „Wenn ich nicht mehr da bin, müsst ihr das machen!“ Über Jahrzehnte haben Zeitzeugen des Widerstandskampfes
tausendfach Schulklassen besucht und auf diese Weise lebendigen antifaschistischen Geschichtsunterricht ermöglicht. Das kann leider kaum mehr in dieser Weise stattfinden. Es leben nur noch sehr wenige von ihnen.

Frage: Kanntest du denn Ettie und Peter Gingold persönlich?

M.Meyers: Ja, wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und waren befreundet. Peter Gingold hat uns zu seinen Lebzeiten öfter darauf hingewiesen, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie die politische Arbeit der Zeitzeugen fortgesetzt werden kann, wenn sie selbst diese nicht mehr werden leisten können.
Wie hätte die BRD sich politisch entwickelt, wenn nicht diejenigen, die gegen den Faschismus an der Macht kämpften, sich immer wieder gegen Rechtsentwicklung und Faschisierung gestellt hätten? Wie viel größer wäre der Zulauf zu rechten und faschistischen Gruppen gewesen, wenn nicht die Zeitzeugen in Schulen und Jugendorganisationen Generationen von jungen Menschen die Wahrheit über den Faschismus vermittelt hätten? Unser Film über Ettie und Peter Gingold ist ein Beitrag dazu, diese Aufklärungsarbeit fortzusetzen.

Frage: Über Peter Gingolds Leben gibt es ja bereits einige Dokumentationen, z.B. des NRD. Was ist neu oder anders in eurem „Zeit für Zeugen“?

Mathias Meyers: Ja, glücklicherweise wurden in den letzten Jahren etliche Filme über antifaschistische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer erstellt und Dokumente ihrer Arbeit gesichert. Ein beachtlicher Fundus z.B. auch für Projekte von Schulklassen oder Geschichtskursen ist damit vorhanden. Neu und anders in unserem Film ist: Es kommen, neben den Gingolds selbst, 24 Weggefährten zu Wort. Sie erzählen von ihren Erfahrungen mit den beiden Protagonisten, stellen wichtige biografische Ereignisse vor und berichten von der außergewöhnlichen Ausstrahlung der Gingolds

Frage: Bringt ihr denn auch neue historische Infos über sie?

Mathias Meyers: Ja, insofern, als wir in unserem Film nicht auf die Zeit des Faschismus begrenzt bleiben, sondern uns auch mit der Zeit nach 1945 befassen. Ettie Gingold erzählt im Film u.a. von dem Schock, der es für sie war, als elf Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ihre Partei, die KPD, wieder verboten wurde. Wieder waren sie gezwungen, die politische Arbeit illegal zu organisieren, Hausdurchsuchungen zu erdulden und erneut Sorge dafür zu tragen, drohenden Verhaftungen zu entgehen.

Frage: Engagierten Antifaschisten älteren Semesters ist der Name Gingold ein Begriff, vor allem in der Frankfurter Region. Sie erinnern sich wahrscheinlich auch noch an den Fall seiner Tochter Silvia Gingold, einen der ersten und international bekanntesten Berufsverbotsfälle.
Aber was können jüngere Menschen damit anfangen, zum Beispiel eine zehnte Gesamtschulklasse in Kassel?

Mathias Meyers: Eine zentrale Szene im Film zeigt Peter Gingold vor der überfüllten Aula einer Gesamtschule, die übrigens als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet wurde. Es ist dort mucksmäuschenstill, als er sagt: „Ihr riskiert heute, wenn ihr euch gegen Rassismus und Ungerechtigkeiten wehrt, nicht das, was wir damals riskieren mussten. Aber macht das rechtzeitig. Damit ihr nicht morgen das riskieren müsst, was wir damals zu riskieren hatten.“ Etliche hundert Schülerinnen und Schüler antworten ihm darauf mit standing Ovations! Den Gingolds – so wie auch den vielen anderen Zeitzeugen – war es nicht wichtig, über ihre Geschichte als etwas Besonderes zu sprechen. Sie wollten Verantwortung dafür übernehmen, dass sich Vergleichbares nicht wiederholt. Dass Menschenverachtung, Rassismus und Antisemitismus als Gefahr  erkannt und bekämpft werden. Schülerinnen und Schüler sind heute bei jeder Demonstration gegen Nazis dabei. Der Film versucht dieses Engagement zu stärken und zu untermauern. „Es geht um euch selbst, um eure Zukunft!“, sagt Peter in der geschilderten Szene.

Frage: Trotzdem: Setzt euer Film nicht doch zu viel historisches Wissen voraus? Wer kennt denn heute noch den „Krefelder Appell“?  Nur mal als Beispiel?

Mathias Meyers: Nun, gerade die Beschäftigung mit Ettie Gingolds Biografie ist ein sehr lebendiger Geschichtsunterricht. Sie  kämpfte bekanntlich ebenso wie Peter in der französischen Widerstandsbewegung, der Résistance. Später dann war sie als Kommunistin in der Friedensbewegung der 1950er und der 80er Jahre aktiv und sammelte tatsächlich 12.000 Unterschriften unter jenen „Krefelder Appell“ gegen die Stationierung von US-Atomwaffen in Europa.

Natürlich kann ein halbstündiger Dokumentarfilm nur ein Anstoß sein. „Zeit für Zeugen“ erzählt Geschichte nicht als eine Reihe von Ereignissen, sondern versucht, Zusammenhänge aufzuzeigen und den verbreiteten Vereinfachungen entgegenzuwirken. Mit der Geschichte von Ettie und Peter Gingold wird sehr deutlich, dass nach 1945 eben nicht eine völlig neue Zeit begonnen hatte. Wie der Faschismus eine Vorgeschichte hatte, so hatte er noch lange massive Nachwirkungen in den ihm folgenden Jahrzehnten.

Den Gingolds wurde z.B. die deutsche Staatsbürgerschaft  mit der Begründung ihrer KPD-Parteimitgliedschaft und ihres Widerstandskampfes verweigert. Sie bekamen sie erst nach vielfältigen Solidaritätsbezeugungen, insbesondere aus Frankreich, wo beide für ihren Kampf in der Résistance, auch von höchsten staatlichen Stellen, geehrt wurden. Ähnliches wiederholte sich dann mit dem Berufsverbot für ihre Tochter Silvia Gingold – eine politische Verfolgung in der dritten Generation: Die Großeltern mussten als Juden 1933 aus Deutschland fliehen, die Eltern wurden als Kommunisten verfolgt und der Tochter sollte verboten werden, Lehrerin zu sein. Wer sich – auch als Schüler oder Schülerin– mit heutigen Verhältnissen kritisch beschäftigt, sollte auch fragen, was gestern war. Die Geschichte der BRD wird gerne und häufig als glatte „Erfolgsgeschichte“ dargestellt. Dass zu ihr aber der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung und Atomwaffenstationierung gehört, dass tausendfach Berufsverbote verhängt wurden und Neofaschisten von staatlichen Stellen geduldet und mitunter auch gefördert wurden – dass sind eher die blinden Flecken in der „Erfolgsgeschichte“.

Frage: ……die blinden Flecken sind meistens die braunen Flecken….

Mathias Meyers: Ganz recht! Wie weit gerade das Letztgenannte geht, sehen wir aktuell im Umgang des Inlandsgeheimdienstes mit ihren Vertrauensleuten in den faschistischen Gruppen.

Frage: Zurück zum Film – ist er denn bereits an Schulen gezeigt worden?

Mathias Meyers: Nein, bisher noch nicht. Verschiedene Jugendgruppen haben den Film in etlichen Städten vorgeführt. Da saß tatsächlich zumeist ein Publikum, dass die Gingolds nicht persönlich kannte. Die Rückmeldungen zeigen, dass der Film auch in diesem Fall sehr gut ankommt .

Frage: Eine rein praktische Frage: Wie konntet ihr den Film finanzieren?

Mathias Meyers: Der Frankfurter Verein LAGG e. V. (Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim), der sich seit Jahren mit der Geschichte der beiden Stadtteile während des Faschismus beschäftigt, insbesondere mit dem KZ-Außenlager Katzbach in den Adlerwerken, hat den Film wesentlich mit finanziert. Den Rest hat unsere  Gingold-Erinnerungs-Initiative beigetragen.  

Frage: Was ist denn dein neuestes Projekt, jetzt, wo der Gingold-Film fertig ist?

Mathias Meyers: Aktuell bereiten wir mit der Erinnerungs-Initiative zusammen mit dem Freien Schauspiel Ensemble in Frankfurt am Main eine Matinee zum 100. Geburtstag von Ettie Gingold im Februar 2013 vor. Das wird eine Hommage an diese wunderbare und mutige Frau.

Außerdem arbeite ich noch in Kooperation mit dem Mainzer Künstler Thilo Weckmüller von der „Werkstatt uah!“ in dem Projekt  „Trotz alledem!“. In den bisher sieben Ausstellungen zeigten wir  Porträts und Kurzbiografien von antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die farbigen Porträts - Linoldrucke mit verlorener Form - und die Veranstaltungen im Beiprogramm der Ausstellungen stoßen vor allem bei Jugendlichen auf große Resonanz. Bisher haben wir mehr als siebzig Biografien recherchiert und ein Ende ist noch nicht absehbar. Diese Ausstellung stellen wir gerne als künstlerische Erweiterung für antifaschistische Schulprojekte zur Verfügung.(www.widerstand-portrait.de)

Die Fragen stellte Eva Petermann.

Zeit für Zeugen – Eine Hommage an Ettie und Peter Gingold

Laufzeit: 34 Min.; Bildformat: 16:9; Sprache: Deutsch
Autoren: Mathias Meyers, Tidi von Tiedemann.

DVD kann zum Preis 7,50 EUR (plus 2 EUR Porto + Verpackung) bestellt werden bei

Ettie-und-Peter-Gingold-Erinnerungsinitiative

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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