Aus Bewegungen und Parteien

08.02.2012: Wieder einmal geht das Gespenst des Kommunismus um. Diesmal aber ist das "Gesicht des Kommunismus" (FAZ) das "schöne Gesicht der chilenischen Proteste" (Rheinische Post), wird "wie ein Popstar gefeiert" (FAZ) und ist "beliebter als der Präsident" (SPIEGEL). "Alle Welt ist verrückt nach ihr", wundert sich die WAZ.  Für die Süddeutsche Zeitung ist die "knallharte Kommunistin" (SPIEGEL) das "Gesicht der Revolution". Der britische "Guardian" wählte sie kürzlich zur "Person des Jahres 2011". Es geht um Camila Vallejo, Vizepräsidentin des chilenischen Studentenverbandes FECH und Mitglied der Kommunistischen Jugend Chiles.

Gemeinsam mit Karol Cariola (Vorsitzende der Kommunistischen Jugend Chiles) und Jorge Murúa (Vorstandsmitglied des Gewerkschaftsdachverbandes CUT und der Metallarbeitergewerkschaft CONSTRAMET, Mitglied der KP Chile) absolvierte sie ein stressiges Programm auf ihrer Rundreise durch Deutschland. Vorträge, Gespräche und Pressetermine jagten sich ununterbrochen. Zehn deutsche Städte standen auf dem Programm. Allein in München warteten drei Termine binnen sieben Stunden.

An der Münchner Universität waren lange vor Beginn der Veranstaltung die 80 Sitzplätze belegt. Die restlichen 100 Leute mussten stehen. Die dreiköpfige Delegation aus Chile informierte über die Bildungs- und Sozialproteste, die das Land seit Monaten aufwühlen und über die inzwischen weltweit berichtet wird. Statt öffentliche Schulen und Unis auszustatten, subventioniert der Staat private Lehrstätten. Die meisten Studenten müssen sich für ein Studium verschulden: Fünf Jahre Studium, fünfzig Jahre Schulden. Doch selbst dann formen die Bildungseinrichtungen nur Arbeiter und Manager statt autonome Subjekte, kritisierte Vallejo. Bildung sei keine Konsumware, sondern ein Menschenrecht.

Zwei Botschaften waren den ChilenInnen besonders wichtig: "Wir müssen mit einer Universität brechen, die den Individualismus, die Konkurrenz und den persönlichen Vorteil zur Leitlinie des Studiums und der Studierenden macht. Wir stehen gegen eine Universität, bei der es nur darum geht, zu den Vorlesungen zu kommen, gute Noten zu erhalten und sie möglichst schnell zu verlassen, um Geld auf dem Arbeitsmarkt zu verdienen. Unsere grundlegenden Vorstellungen und Konzepte sind die der Solidarität, der Gemeinsamkeit und der Zusammenarbeit. Die Universität muss die Augen öffnen für die gesamte Welt, die es zu erobern gilt und unsere Arbeit, unsere Kraft und unsere Hingabe erfordert. Das Studium muss die Augen öffnen für die sozialen Ungleichheiten und uns auf die gesellschaftliche Transformation verpflichten." Zum Zweiten komme in der Berichterstattung nicht recht rüber, dass es sich nicht nur um eine Studierendenbewegung handelt. "Das Bildungssystem ist ungerecht, pervers und ein Riesenbetrug. Geschäftemacherei und Verschuldung müssen aufhören! Aber es geht nicht nur um die gescheiterte Privatisierung des Bildungssektors in Chile", sagte Vallejo: "Die soziale Wirklichkeit insgesamt muss sich ändern. Wir benötigen eine tiefgehende Diskussion hinsichtlich des Landes, das wir aufbauen wollen und in diesem Zusammenhang, welchen Typ von Universität wir dafür brauchen." Deshalb stünden bei den Massenprotesten Studierende an der Seite von Arbeitern, Umweltschützern, Menschenrechtsorganisationen und der indigenen Bevölkerung. Der eigene politische Reifungsprozess der Protestbewegung habe über die Bildungskritik hinaus zu den aktuellen Forderungen nach einem gerechteren Steuersystem, der Re-Nationalisierung der Naturressourcen und einer neuen Verfassung geführt.

Am Abend reichten dann auch im Münchner Gewerkschaftshaus die Sitzplätze bei weitem nicht aus. Über 300 Besucher drängen sich im Saal. Eingeladen hatten u.a. die Gewerkschaft GEW Bayern, die ver.di Jugend Bayern, Rosa-Luxemburg-Stiftung, DKP und SDAJ. "Es ist doch erfreulich, dass das Gewerkschaftshaus voll ist, wenn vier KommunistInnen am Podium sitzen", sagte Kerem Schamberger, Moderator des Abends, nach der Begrüßung der Gäste.

Karol Cariola betonte, dass die Proteste tief in der chilenischen Gesellschaft verankert sind. Keiner solle denken, dass da kurz etwas aufkocht und bald wieder abebbt. "Die Proteste sind das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, in dem die Wut gewachsen ist", sagt sie. Das neoliberale Modell habe sich in Chile erschöpft. "Und wir werden nicht aufhören, bis wir endlich echte Demokratie haben." Camila Vallejo ergänzte: "Viele Faktoren spielen eine Rolle, aber der wichtigste ist die Erschöpfung des neoliberalen Wirtschaftsmodells. Niemand glaubt mehr an die falschen Versprechungen und die Menschen spüren den Missbrauch. Sie merken, dass sie, auf gut Chilenisch, beschissen werden. Sie haben diese Situation lange Zeit ausgehalten, aber jetzt nicht mehr. Die heutige Generation hat tatsächlich keine Angst mehr, gegen eine Diktatur zu demonstrieren. Wir sind des Systems überdrüssig, das uns unterdrückt und die Menschen ausraubt. "

Jorge Murúa berichtete über die elende soziale Situation der chilenischen Arbeiterfamilien. Nach dem Putsch von Pinochet war Chile das Versuchskaninchen des Neoliberalismus: Zerschlagung der Gewerkschaften, Privatisierung und Marktradikalismus. Das Wirtschaftswachstum sei an den Menschen vorbei gegangen, die soziale Polarisierung so groß wie noch nie. Damit heute eine Arbeiterfamilie überleben kann, muss sie sich immer mehr verschulden. Und die Schulden wiederum drücken ihnen dann die Luft zum Leben ab. Mit Videoclips und Fotos unterstrich er seine Schilderung über die Vorbereitung und Durchführung des großen Streiks im August 2011. Dieser Streik der Gewerkschaften und die Zusammenarbeit mit den Studierenden und anderen sozialen Bewegungen signalisierte einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung der Protestbewegung.

Alle drei waren sich einig: "Aus dieser sozialen Bewegung muss eine politische Bewegung werden." Jetzt verwurzele sich die Protestbewegung in den Stadtteilen und mit den Stadtteilversammlungen entstehen neue Formen der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung. Auf die Frage, ob die Linke in der Lage ist, mit dieser Situation umzugehen, meinten sie: "Noch nicht. Die kommunistische Partei hat sich nur am Rande an den Demos beteiligt und hat nicht versucht, eine Führungsrolle zu übernehmen, die ihr im Übrigen auch nicht zusteht. In der Linken gibt es noch viel Misstrauen, allerdings keine Spaltung. Was uns als Linken noch fehlt, ist die Fähigkeit, Bündnisse zu schmieden und gemeinsame Programme zu erarbeiten." Jetzt käme es darauf an, dass sich die Linke und die Kommunistische Partei eine eigene soziale Basis schaffe, um das Zweiparteiensystem zu durchbrechen. "Es geht nicht nur um die soziale Bewegung und den Protest, sondern auch um die Macht", sagte Camila Vallejo.

Auf die Frage, was ihr die Auszeichnung des Guardian bedeute, antwortete sie: "Sie gilt nicht mir persönlich. Ich bin nur das Gesicht, das diese Bewegung personifiziert. Wenn man mir also diese Auszeichnung verleiht, dann ist das eine Wertschätzung für die globalen Umwälzungen, die durch viele Bewegungen angestoßen worden sind. Ich verstehe diese Ehrung deshalb als eine Anerkennung für den Mut der Jugend im Allgemeinen. Die Menschen fühlen sich hilflos in Anbetracht der Machtverhältnisse und der entfesselten Märkte. Bei uns in Chile ist es die Bildung, in anderen Ländern sind es andere Dinge. Aber im Kern eint alle ein globales Phänomen, das Gefühl einer globalen sozialen Ungerechtigkeit, in der einige wenige sehr viel haben und sehr viele ganz wenig. Diese Bewegung packt die Wurzel unserer neoliberalen Weltordnung an. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet ich zum Symbol wurde. Vielleicht, weil die chilenischen Proteste international Beachtung finden."

"Das war ein Triumphzug der Kinder der Unidad Popular", wertete abschließend Jürgen Hintzer, Streikorganisator der Gewerkschaft NGG, der die Kontakte nach Chile hergestellt und die Reise organisiert hatte, und endete mit "El Pueblo unido, jamás será vencido". Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden.

txt: lm

 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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